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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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ist.
    »Jez lots emal das stinkwichtig Botschji.«
    Wir setzen uns mit der Illustrierten, die wir von Frau Eisenmann haben, auf die Couch und lösen das große Kreuzworträtsel. Ich kuschle mich an Mama.
    »Welches Tier macht muh?«
    »Eine Kuh!«
    »Der Mond scheint …«
    »… am Himmel!«
    »Nein, wann scheint der Mond?«
    »In der Nacht!«
    Mama lächelt. »Das alles und auch die anderen leichten Sachen hat Elsi Eisenmann schon ausgefüllt. Uns überlässt sie nur, was sie selbst nicht weiß.« Sie blättert weiter.
    »Schau mal, Mama, diese Frau sieht aus wie du!«
    »Das ist die Lis Assia, in Wirklichkeit heisst sie nur Rosa Schärer. Aber das schreibt die Illustrierte natürlich nicht.«
    Die Flasche Wein mit dem komischen Etikett hat Papa für ein besonderes Ereignis aufbewahrt, und heute ist es so weit! Anton und ich prosten uns mit Sirup zu. Wir müssen erst ins Bett, wenn es dunkel ist, und ich darf sogar auf Papas Schoß sitzen. Wir feiern nicht nur ein neues Geschwister, sondern auch ein neues Auto: »Es sieht aus wie ein Buckelwal«, sagt Papa gut gelaunt, »damit reisen wir morgen nach Naters.«
    Auf der Fahrt ins Wallis zählen wir zuerst alle Bäume auf, die uns in den Sinn kommen, danach die Tiere. Mama hilft mir ein bisschen.
    »Bergadler! Feldlerche! Warzenschwein! Turmfalke!«
    »Goldfisch …«
    »Ihr habt uns schon lange einen Goldfisch versprochen, bittebitte!«
    »Lächerlich!«
    Papa findet, Fische gehören ins offene Gewässer.
    Beim Grimsel-Stausee halten wir an. Wir steigen aus und stellen uns vor das Auto, damit Papa ein Foto machen kann. Das Picknick gibt es erst im Gomserwald. Mama hat Brot, Aufschnitt, Käse und Cornichons mit, der Schoggicake ist ziemlich zerbröselt. Anton mit seinen neuen Knickerbockers hat’s gut, ihn kratzt die Decke nicht, »nur mich, immer nur mich!«
    »So setz dich halt ins Gras!«
    »Nein, dort hat es Viecher.«
    Aus der Thermosflasche ist Tee über Mamas Wolljacke ausgelaufen, ein Ärmel hat bräunliche Flecken, »diese Saukanne!« Wir können sie zum Spielen haben. Am Bach füllen wir sie mit Wasser, Anton begießt damit den Buckelwal.
    »Anton! Bist du verrückt geworden!? Hör sofort damit auf!« Papas laute Stimme schreckt Mama auf. »Es sind doch Kinder«, sagt sie. »Versuch, ein Nickerchen zu machen!«
    Durchs Goms zählen wir die Kirchtürme. Bei jedem Turm strecke ich einen Finger auf, ich lerne jetzt zählen: Wenn alle oben sind, sind es zehn. Papa zeigt auf ein Dörfchen. »Dort ist Schiner geboren, Matthäus Schiner.«
    Kurz vor Brig muss Mama erbrechen.
    »Kannst du es nicht wenigstens noch fünf Minuten zurückhalten? Da vorne ist schon Naters, ich kann nicht bremsen, einer ist direkt hinter mir!«
    Mama presst die Hand an den Mund. Ihre Schultern heben sich, sie gluckst …
    »Papa, bitte, halt an! Mama …«
    Nach einem Schwenk stoppt das Auto abrupt. Konrad und ich werden an die Rücklehne der Vordersitze geworfen. Mama schreit.
    »Los, geh schon raus!«
    »Jetzt muss ich nicht mehr …«
    Mama steigt trotzdem aus. Sie setzt sich am Straßenrand ins Gras, zieht die Knie an, versteckt den Kopf in die verschränkten Arme. Als auch Papa aussteigt, rammt er mit der Tür beinahe einen Töfffahrer. Der Töff schlenkert auf die andere Seite, ist jetzt ganz schräg … Und fährt geradeaus davon.
    »Hör doch zu heulen auf«, sagt mein Bruder zu mir. Doch er sagt es so, dass ich erst recht weinen muss. Papa kauert neben Mama. Er hält den Arm um sie.
Onkel Arthur macht Papas Auto kaputt
    Großpapa hat keine Frau mehr, deshalb sind meine beiden Tanten bei ihm. Ich bin blond wie die jüngere Tanta. »Äs schlat nach ischer Famili«, sagt sie zu Papa, und Mama sagt, wenn sie bloß nicht deine großen Füße bekommt!« Ich schleiche in Tanta Bethlis Zimmer und schlüpfe in ihre langen Schuhe, darin schlurfe ich vor den Spiegel. Bei Großpapa wohnt auch Onkel Arthur, Papas ältester Bruder. Er ist nicht nur ein Arzt, er ist auch ein Asket. Der jüngere Bruder, Onkel Heinrich, arbeitet in der Üsserschwiz. Eine junge schöne Natischeri hat ihm schon zwei selbst gestrickte Pullover nach St. Gallen geschickt. Sie liebt ihn mehr als alles andere auf der Welt und ginge für ihn durch die Hölle.
    Für Mama und Papa würde ich auch durch die Hölle gehen.
    »Und du«, frage ich meinen Bruder. Ohne von seinem
Micky Maus
-Heft aufzuschauen, murmelt er etwas Unverständliches.
    »Hoffentlich ist das neue Bébé kein Bub«, sage ich zu ihm.
    Onkel Arthur ist
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