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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland.
Autoren: Andrea Camilleri
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hinter seinem Schreibtisch und ging erneut die Konten durch, als er eine Karosse mit Karacho in den Hof fahren hörte. Er hob die Augen zum Fenster und erkannte die Kutsche von Don Ciccio Lo Cascio. Auch er war Lagerhalter, und zwar auf vorderstem Rang, auf dem er ohne größere Formalitäten gelandet war: Mit Worten und Taten hatte er es zu Ansehen und Respekt gebracht. Deshalb erhob er sich, um ihn zu begrüßen, und wäre auf der Türschwelle um ein Haar mit Don Ciccios Lagerburschen zusammengestoßen, der rot im Gesicht war und keuchte, als sei er anstelle des Pferdegespanns gelaufen.
    »Verzeihung. Ich küß die Hand.«
    »Was gibt's?«
      »Don Nenè Barbabianca ist auf dem Weg zu Euer Ehren. Sein Lager ist leer, er braucht dringend fünftausend Kantar Schwefel, andernfalls säuft er ab wie eine Ratte. Don Ciccio bittet nun Euer Ehren…«
      Mit weit ausholender Geste, die Hand ausgestreckt wie zum Schwur, brachte Don Saverio ihn zum Verstummen.
    »Da bedarf es doch keiner Bitten! Sag ihm, daß die Barbabianca für mich vom Erdboden verschwinden müssen. In meinen Lagerräumen gibt es keinen Schwefel für Leute, die nicht wissen, wie man die eigene Haut rettet. Bestell Don Ciccio meine Grüße.«
    Zwei Schriftstücke las der siebzigjährige Don Totò, Inhaber der Firma Salvatore Barbabianca & Söhne, seit acht Uhr in der Früh immer wieder von neuem durch. Besser gesagt, er tat nur so. In Wirklichkeit hatten sich die Schriftzeichen wie Brandmale in sein Gehirn gefressen. Das erste Schriftstück war zur Hälfte mit der Feder geschrieben, zur anderen gedruckt. Oben links stand: »Emil Jung«, und gleich darunter »Palermo«; oben rechts war »Palermo, den 2. Juli 1890«, darunter, in der Mitte des Blatts, »Auftrag für Schwefel« und noch weiter darunter »Herr Salvatore Barbabianca & Söhne – Vigàta« geschrieben. Dann schloß sich folgender Text an:

    Kraft des vorliegenden Auftrags werdet Ihr so freundlich sein und dem Herrn Alessio Paruskin, Kommandant des Schiffs »Iwan Tomorow« aus Odessa kommend, fünftausend Kantar Schwefel, zweite Qualität Vigàta, aus der Mischung der wohlfeilen Schwefelstangen von dem schwarzen, mit Fremdkörpern doppeltgebrannten Schwe fel liefern, die wie gewöhnlich in Stücke und Stückchen abgemessen und an den von der Zollbehörde angeordneten Orten gestellt und gewogen und anschließend franko sämtlicher Gebühren dem vorgenannten Herrn abzüglich der Zollsteuern, die zu seinen Lasten gehen, auf den großen Segeldampfer geladen werden. Stellt die genannten Schwefelballen ab heute für vier Monate franko Lagerhaltung bereit. Sollte nach Ablauf dieser Frist die Übergabe nicht erfolgt sein, werden die Stücke auf Glück und Gefahr demselben Herrn Alessio Paruskin als dem gesetzlichen Vertreter der Firma Nikolai Arbusow mit Firmensitz in Odessa anheimgestellt. Es handelt sich bei den genannten Schwefelstangen um die von mir in Eurem Lager deponierten, die ich ihm gegen bare Münze verkauft habe. Wenn Ihr die Lieferung ausgeführt habt, werdet Ihr diesen Auftrag zur allgemeinen Zufriedenheit quittiert und abgegolten haben. Mit Wertschätzung grüße ich Sie. Emil Jung.

    Das zweite Dokument war wesentlich kürzer, es handelte sich um ein gelbliches Telegramm, das ebenfalls teils bedruckt und teils mit der Feder geschrieben war. Der von Hand geschriebene Teil besagte:

    Übergebt fünftausend Kantar dem Schiff »Tomorow«, das Dienstag, den 18., am Nachmittag in Eurem Hafen einläuft. Grüße Jung.

    Alles in Ordnung. Nur konnte er sich nicht erklären, wie ein Telegramm, das am 15. aus Palermo abgeschickt worden war (so stand es klar und deutlich in dem entsprechenden Kästchen links oben), erst am 18. in Vigàta eintreffen konnte, am selben Tag also, an dem das Schiff anlegen sollte. Von Palermo nach Vigàta waren es zweihundert Kilometer, da hätten sie ihm das Telegramm genausogut durch einen Laufboten schicken können. Das war der Punkt: Wäre das Telegramm, wie es normal ist, am selben Tag eingetroffen, an dem es losgeschickt worden war, hätte Don Totò Zeit genug gehabt, den Schlag zu parieren. Genau darauf, auf die deutsche Genauigkeit von Emil Jung, hatte er sich verlassen, der es sich stets zur Pflicht gemacht hatte, ihm mindestens drei Tage vor der Lagerbewegung Bescheid zu geben. Das Postamt war nicht imstande, irgendeine Erklärung abzugeben. Doch Don Totò konnte sich die, wenn er wollte, auch selbst geben. Klar und deutlich, als wäre er leibhaftig
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