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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth
Autoren: Martin Cruz Smith
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einer flachen, rechteckigen Holzkiste. Seine Schuhe waren lehmbedeckt, und auch sein Kamelhaarmantel war von oben bis unten bespritzt. Er hob die Kiste auf den Lastwagen, an dem Jaak schon sein Kurzwellenradio gekauft hatte.
    Max stand auf der Ladefläche des Lasters und schob die Kiste vor ein paar andere. »Sie hätten uns beinahe verpaßt », rief er Arkadi zu. »Wir sind gleich fertig.«
    Borja schien weniger erfreut zu sein. Er war durchnäßt, und sein Haar klebte ihm auf der Stirn, als hätte er ein ganzes Spiel bei schlechtem Wetter im Fußballtor gestanden. Er sah an Arkadi vorbei. »Wo ist Kim?«
    »Kim und Minin hatten Probleme mit der Straße«, sagte Arkadi.
    »Ich glaube nicht, daß wir sie vermissen werden«, sagte Max. »Ich wußte, daß Sie kommen würden.«
    »Da ist noch mehr.« Borja warf Max und Arkadi einen mißbilligenden Blick zu und stapfte zurück in den Bunker. Die Kiste, die er gerade aufgeladen hatte, trug verblichene Stempel: »Muster ohne Wert« und »Geheimmaterial für das Archiv des Innenministeriums der UdSSR.«
    »Wie geht’s Irina?«
    »Sie ist glücklich.«
    »Was ich vergessen hatte, war Irinas Vorliebe für Märtyrer. Wie hätte sie Ihnen widerstehen können?« Max wurde ernst.
    »Ich hatte keine Gelegenheit mehr, mich in Berlin von ihr zu verabschieden, weil Borja ausgesprochen in Eile war. Er ist so unromantisch. Einmal ein Zuhälter, immer ein Zuhälter. Er hat immer noch nichts als seine Huren und Spielautomaten im Kopf. Er will sich ja ändern, aber sein krimineller Geist ist ziemlich beschränkt. Russen ändern sich nicht.«
    »Wo ist Rodionow?« fragte Arkadi.
    »Er stimmt seine Beamten auf die Linie des Notstandskomitees ein. Das Komitee ist ein solcher Haufen von Parteibonzen und Alkoholikern, daß Rodionow im Vergleich zu ihnen geradezu strahlend erscheint. Natürlich wird das Komitee siegen, da sich die Menschen immer der Knute beugen. Dabei ist dieser Staatsstreich so unnötig. Jeder könnte reich sein. Und jetzt geht’s zurück zum System der Erbsenzähler.«
    Arkadi wies auf die Kisten. »Das sind keine Erbsen. Warum transportieren Sie sie ab, wenn das Komitee ohnehin siegen wird?«
    »Für den völlig unwahrscheinlichen Fall, daß der Angriff fehlschlägt, wird man den Weg der Panzer sehr schnell zurückverfolgen. Und sobald sie einmal hier sind, finden sie die Bunker, und wir würden alles verlieren.«
    Arkadi blickte in die Richtung, in die Borja gegangen war.
    »Ich würde mir die Sache gerne einmal ansehen.«
    »Warum nicht?« Max sprang bereitwillig vom Wagen. Das Innere des Bunkers war eng, für etwa zehn bis zwölf Leute gebaut, die in ihm den nuklearen Holocaust aussitzen sollten, wie Affen rund um einen Generator hockend und durch Funkbefehle Truppen lenkend. Der wie ein Trabi hämmernde Generator erzeugte das Licht für die Notbeleuchtung. Borja schlug ein Gemälde in ein Wachstuch ein.
    »Wenig Platz hier«, sagte Max. »Wir mußten die Strahlenmeßgeräte rausschaffen. Sie haben sowieso nicht mehr funktioniert.«
    Er richtete seine Taschenlampe auf die Bilder. Einige waren bereits in Kisten verpackt, die meister aber noch nicht, und der Strahl fiel auf eine von Matjuschin bemalte Leinwand, die Farben frisch und leuchtend wie am Tag, als er sie aufgetragen hatte. Dann wanderte der Strahl über eine Palme von Sarian, Schwäne von Wrubel, berstende Sonnen von Iuon und eine am Himmel schwebende Kuh Chagalls. Eine mit Lineal und Zirkel konstruierte Komposition Lissitzkis wurde halb von erotischen Skizzen Annenkows verdeckt. Über einem Popowa-Kaleidoskop breitete ein Huhn Kandinskys seine Flügel aus, eine Masse wirbelnder Federn. Arkadi hatte das Gefühl, einen Stollen betreten zu haben, dessen Adern aus Bildern statt aus Gold bestanden, einen Stollen, in dem die menschliche Kultur begraben lag.
    Max’ Augen leuchteten. »Das hier ist die größte Sammlung russischer Avantgarde außerhalb der Tretjakow-Galerie. Natürlich wußten die Leute vom Ministerium nie, was sie da eigentlich konfiszierten, denn Milizionäre haben nun mal keinen Geschmack. Aber die Leute, die sie beraubten, die wußten es, und darauf kommt es an, oder?
    Zunächst einmal wurden während der Revolution sämtliche Privatsammlungen beschlagnahmt, wobei die Revolutionäre die revolutionärsten Bilder für sich selbst haben wollten. Dann räumte Stalin unter seinen alten Freunden auf, und die Miliz brachte die zweite Ernte großer Kunst ein. Und erntete weiter, bis in die Zeit
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