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Das kurze Glueck der Gegenwart

Das kurze Glueck der Gegenwart

Titel: Das kurze Glueck der Gegenwart
Autoren: Richard Kaemmerlings
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jedenfalls immer wieder lesen, so dass jede öffentliche Darstellung einer schweren Krankheit, eines Trauerns als Bruch eines Tabus auftreten kann. Wahr ist aber das Gegenteil: Der Tod ist in einer Weise öffentlich präsent, dass es geradezu absurd ist, von Verdrängung zu sprechen.
    Natürlich, es ist heute eine absolute Ausnahme, dass Eltern oder Großeltern zuhause, im Kreis der Familie, sterben. Jeder kennt das aus den Gesellschaftsromanen des neunzehnten Jahrhunderts, wo dann in der letzten Stunde alle ihm Nahestehenden vom Sterbenden Abschied nehmen können, der dann im Frieden mit der Welt »entschläft«. Aber war das nicht immer schon, selbst vor hundertfünfzig Jahren, ein idyllisches Idealbild, vielleicht sogar eine fromme Lüge? Wo und wie starb man denn eine oder zwei Generationen früher? Das Sterben ist vielfach an Institutionen delegiert, an Krankenhäuser, Altersheime, Hospize. Es gibt Beerdigungsinstitute statt ritueller Totenwaschung und Aufbahrung daheim. Beim Sterben sind die Angehörigen vielleicht weniger dabei als früher. Aber ist schon deswegen der Tod an sich verdrängt?
    In den Medien sind Krankheit, Sterben und Tod prominenter Menschen jedenfalls ein Dauerbrenner. Im Boulevard wird keine Krebserkrankung, kein Herzinfarkt, kein Alzheimer eines Prominenten verschwiegen, klar, vor allem die Kombination »Einst reich, schön, berühmt, jetzt krank, schwach, hilfebedürftig« ist eines der populärsten Narrative, weil sich dabei Neid und Mitleid, Schadenfreude und Anteilnahme aufs engste vermischen. Aber längst sind die Geschichten von Krankheit und Trauer auch in die seriösen Medien, auch in die Kultur und Literatur eingegangen. Schon in den siebziger Jahren gab es eine erste Welle von Krebsliteratur, deren bekanntestes Beispiel Fritz Zorns Buch »Mars« war. In den Achtzigern und frühen Neunzigern war es dann die Aidsliteratur. Als Christoph Schlingensief seine Krebserkrankung zum Theaterstoff und Buchthema machte, folgte er damit konsequent einer Logik künstlerischer Grenzüberschreitung, in der die Sphären des Privaten und Öffentlichen vermischt werden: »So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein« nannte er sein »Tagebuch einer Krebserkrankung« (2009). Im gleichen Jahr veröffentlichte der Journalist Georg Diez sein Erinnerungsbuch »Der Tod meiner Mutter«, das Porträt einer beeindruckenden Frau, das aber ebenfalls intime Details für die Erzeugung melodramatischer Effekte einsetzt.
    Beide Bücher haben ihre Stärken. Doch ein Tabubruch, ein Kampf gegen das öffentliche Verdrängen und Totschweigen von Krankheit und Sterben war weder das eine noch das andere. Auch wenn man künstlerisch ganz andere Ziele verfolgte, wurden dabei auch Erzählmuster verwendet, die im Boulevard gängig sind, etwa der Kontrast zwischen der »kalten« Sprache der Hochleistungsmedizin und dem persönlichen Erleben. Auch »Überlebnis« (2008), Ulla Unseld-Berkéwiczs Buch über das Sterben ihres Ehegatten Siegfried Unseld und über ihre Trauer, antwortete auf das voyeuristische Bedürfnis einer Öffentlichkeit, der offenbar kein Detail über das Sterben eines großen Mannes zu privat oder zu geschmacklos ist. Vor allem die Schamlosigkeit, mit der hier der Schleier über letzten Dingen gehoben wurde, hatte Norbert Gstrein zu seinem fiktionalisierten Gegenbuch »Die ganze Wahrheit« herausgefordert.
    Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben, hieß es früher und heißt es jetzt wieder: Die Medien sind voll davon. Das macht es für die Literatur aber nicht leichter, sondern schwerer. Denn sie muss eine Form finden, die zum Betroffenheitspathos der Sterbeberichte ebenso Abstand hält wie zum gedämpften Ton des ebenso inflationär gewordenen Genres Beerdigungsreportage. (Was ist da schon zu berichten, an einem Ritual nimmt man teil oder nicht.) Die Literatur muss den längst veröffentlichten Tod wieder erzählbar machen, ihm die Intimität einer Mitteilung zurückgeben.
    Die deutsche Literatur hat hier 1999 einen schwer zu überbietenden Maßstab gesetzt. Damals erschien »Stadt Land Fluß«, das Debüt des 1966 geborenen Christoph Peters. Der Erzähler, der Kunsthistoriker Thomas Walkenbach, erinnert sich nach dem Krebstod seiner Frau, der Zahnärztin Hanna, an die zehn gemeinsam verbrachten Jahre, an das Kennenlernen, den Alltag, ihre Arbeit, seine nie zu einem Ende geführten wissenschaftlichen Studien über einen kaum bekannten niederrheinischen Altarschnitzer.
    »Hanna brauchte festen Boden
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