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Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus
Autoren: Agatha Christie
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Kindermädchen geworden? Ich wusste gar nicht, dass du hier bist.«
    »Ich fahre mit Tante Edith nach Longbridge«, verkündete Josephine. »Wir essen dort Eis.«
    »Brrr! Bei dieser Kälte?«
    »Eis schmeckt immer wunderbar«, erwiderte Josephine. »Wenn man innen kalt ist, fühlt man sich außen umso wärmer.«
    Sophia runzelte die Stirn. Sie sah besorgt aus, war sehr blass und hatte Ringe unter den Augen.
    Wir holten Edith ab, die gerade zwei Briefumschläge schloss. Sie stand rasch auf und sagte: »Gehen wir. Ich habe Evans beauftragt, den Ford vorzufahren.«
    Sie eilte in die Halle, und wir folgten ihr.
    Wieder ruhten meine Augen auf den Koffern. Aus irgendeinem Grund beunruhigte mich ihr Anblick.
    Vor der Haustür zog Edith de Haviland sich die Handschuhe an und schaute zum Himmel empor.
    »Ein ganz ordentlicher Tag. Kalt, aber erfrischend. Ein richtiger englischer Herbsttag. Wie schön die Bäume aussehen, wenn die kahlen Äste sich gegen den Himmel abheben… nur ein paar goldene Blätter sind noch daran.« Sie schwieg ein Weilchen. Dann drehte sie sich um und küsste Sophia. »Leb wohl, mein Herz. Mach dir nicht zu viel Sorgen. Manche Dinge müssen eben erduldet werden. Komm, Josephine.«
    Damit stieg sie in den wartenden Wagen. Josephine kletterte neben sie. Beide winkten, als das Auto abfuhr.
    »Ich glaube, sie hat Recht«, sagte ich zu Sophia. »Es ist besser, wenn Josephine nicht im Hause ist. Aber wir müssen das Kind zum Reden bringen.«
    »Wahrscheinlich weiß Josephine gar nichts, sondern macht sich nur wichtig. Das tut sie nämlich sehr gern.«
    »In diesem Fall möchte ich es bezweifeln. Hat man inzwischen festgestellt, was in dem Kakao war?«
    »Die Polizei hält es für Digitalin. Tante Edith nimmt immer Digitalin für ihr Herz. In ihrem Zimmer stand eine ganze Flasche voll kleiner Tabletten. Jetzt ist die Flasche leer.«
    »Solche Sachen muss man verschlossen aufbewahren.«
    »Das tat sie auch. Aber es war wohl nicht schwer herauszufinden, wo sie den Schlüssel zu ihrem Medizinschränkchen versteckte.«
    »Aber wer?« Wieder betrachtete ich das Gepäck. Unvermittelt sagte ich: »Sie dürfen nicht wegfahren.«
    Sophia sah mich verwundert an.
    »Roger und Clemency? Charles, du glaubst doch nicht etwa…«
    »Was glaubst denn du?«
    Mit einer hilflosen Gebärde streckte sie die Hände aus.
    »Ich weiß es nicht, Charles«, murmelte sie. »Ich weiß nur, dass es wie ein Albtraum ist…«
    »Ich verstehe. Ich hatte dasselbe Gefühl, als ich mit Taverner hierher fuhr.«
    »Da ist man mit Menschen zusammen, die man gut kennt, schaut ihnen ins Gesicht, und plötzlich verändern sich die Mienen, und es ist nicht mehr der Mensch, den man gekannt hat… es ist ein Fremder… ein böser Fremder… Ach, komm mit mir hinaus, Charles! Ich fürchte mich in diesem Haus…«

25
     
    W ir blieben lange im Garten. Wie in stillschweigender Übereinkunft sprachen wir nicht von dem Entsetzen, das auf uns lastete. Stattdessen erzählte mir Sophia mit Worten der Liebe von Nannie, von den Spielen, die sie miteinander gespielt, von den Geschichten, die Nannie über Roger und seine Geschwister berichtet hatte.
    »Sie waren ihre Kinder, verstehst du. Dann kam sie erst im Krieg wieder zu uns, als Josephine noch in den Windeln lag und Eustace ein ulkiges, kleines Kerlchen war.«
    Es beruhigte Sophia, diesen Erinnerungen nachzuhängen, und ich ermunterte sie weiterzusprechen. Ich fragte mich, was Taverner treiben mochte. Wahrscheinlich verhörte er die Hausangestellten. Ein Wagen knatterte mit dem Fotografen und zwei anderen Polizisten davon, und plötzlich fuhr eine Ambulanz vor.
    Sophia schauderte. Nach einer Weile fuhr die Ambulanz wieder fort, und wir wussten beide, dass Nannies Leichnam zur Autopsie fortgeschafft worden war.
    Und immer noch wanderten wir im Garten umher und plauderten, und unsere Worte wurden mehr und mehr eine Hülle, hinter der wir unsere wahren Gedanken verbargen.
    Schließlich sagte Sophia fröstelnd: »Es muss schon spät sein, es wird dunkel. Wir sollten hineingehen. Tante Edith und Josephine sind noch nicht zurückgekommen. Das wundert mich…«
    Mir wurde etwas unbehaglich zu Mute. Was war da los? Brachte Edith das Kind absichtlich nicht zurück, um es dem krummen Hause fernzuhalten?
    Wir gingen hinein. Sophia zog alle Vorhänge zu. Im Kamin brannte ein Feuer, und der große Salon wirkte harmonisch mit seinem altmodischen Luxus, der ihm etwas Unwirkliches verlieh. Auf den Tischen standen große
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