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Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus
Autoren: Agatha Christie
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alten Leonides war – gescheit und schlau wie er, aber im Gegensatz zu ihm, der Angehörige und Freunde geliebt hatte, war bei ihr die Liebe nur auf die eigene Person gerichtet.
    Vermutlich war sich der alte Leonides darüber klar gewesen – außer ihm hatte es niemand erkannt –, dass Josephine eine Gefahr für sich selbst und für andere bedeutete. Er hatte sie vom Schulleben ferngehalten, weil er befürchtete, dass sie dort Unheil anrichten könnte. Er hatte sie beschirmt, im eigenen Heim bewacht, und ich begriff jetzt, warum er Sophia gedrängt hatte, auf Josephine aufzupassen.
    War Magdas plötzlicher Entschluss, Josephine ins Ausland zu schicken, auch auf Sorge um das Kind zurückzuführen? Vielleicht nicht auf eine bewusste Sorge, sondern auf einen unbestimmten mütterlichen Instinkt.
    Und Edith de Haviland? Hatte sie zuerst einen Verdacht gehegt, dann eine Befürchtung – und schließlich alles gewusst? Ich blickte auf den Brief in meiner Hand. Da stand:
     
    Lieber Charles,
    dies ist eine vertrauliche Mitteilung für Sie – und für Sophia, wenn Sie es richtig finden. Es ist notwendig, dass jemand die Wahrheit weiß . Ich fand das beiliegende Notizbuch in der alten Hundehütte bei der Hintertür. Sie bewahrte es dort auf. Es be s tätigt, was ich bereits argwöhnte. Mein Vorhaben mag richtig o der falsch sein – ich weiß, es nicht. Mein Leben nähert sich jede n falls dem Ende, und ich möchte nicht, dass das Kind leidet, wie es meines Erachtens wohl leiden würde, wenn man es für sein Tun zur Rechenschaft zieht.
    Oft findet sich in einer Familie ein Mensch, der »nicht ganz ric h tig« ist.
    Wenn ich falsch handle, möge Gott mir verzeihen – aber ich tue es aus Liebe. Gott behüte euch beide.
    Edith de Haviland
     
    Ich zögerte nur einen Augenblick, dann gab ich Sophia den Brief. Zusammen schlugen wir noch einmal Josephines schwarzes Notizbüchlein auf.
     
    Heute habe ich Großvater getötet.
     
    Wir blätterten weiter. Es war eine erstaunliche Darstellung, für einen Psychologen sicher höchst interessant. Das Motiv für das Verbrechen wurde deutlich – ein erbärmliches, kindliches Motiv.
     
    Großvater erlaubt nicht, dass ich tanzen lerne; darum habe ich beschlossen, ihn zu töten. Dann können wir nach London ziehen und dort leben, und Mutter wird nichts dagegen haben, wenn ich Ballettstunden nehme.
     
    Ich führe hier nur ein paar Eintragungen an, die wichtig sind:
     
    Ich will nicht in die Schweiz, ich will nicht. Wenn Mutter mich zwingt, bringe ich sie auch um – nur kann ich mir kein Gift mehr beschaffen. Vielleicht versuche ich es mit Vogelbeeren, die ja giftig sind.
     
    Eustace hat mich heute sehr böse gemacht. Er sagt, ich bin nur ein Mädchen und überflüssig und meine Detektivtätigkeit wäre dumm. Er würde mich nicht für dumm halten, wenn er wüsste, dass ich der gesuchte Mörder bin.
     
    Charles gefällt mir; aber er ist ziemlich einfältig. Ich weiß noch nicht, wem ich den Mord in die Schuhe schieben soll. Vielleicht Brenda und Laurence. Brenda ist hässlich zu mir. Sie sagt, ich bin nicht ganz richtig im Kopf. Aber Laurence gefallt mir. Er erzählte mir von Charlotte Corday, die einen Menschen im Bad getötet hat. Sie hat es nicht sehr geschickt gemacht.
     
    Die letzte Eintragung brachte eine Enthüllung:
     
    Ich hasse Nannie. Ich hasse sie, ich hasse sie. Sie sagt, ich bin nur ein kleines Mädchen. Sie sagt, ich mache mich wichtig. Sie hat Mutter veranlasst, mich ins Ausland zu schicken. Ich will sie ebenfalls töten. Ich glaube, Tante Ediths Medizin eignet sich d a für. Wenn es einen zweiten Mord gibt, kommt die Polizei wieder, und all das Aufregende beginnt von neuem.
     
    Nannie ist tot. Ich bin froh. Ich weiß, noch nicht, wo ich die Fl a sche mit den Pillen verstecken soll. Vielleicht in Tante Clemencys Zimmer oder bei Eustace. Wenn ich als alte Frau dem Tod nahe bin, werde ich dieses Notizbuch hinterlassen, und zwar an die Polizeidirektion adressiert, und dann wird man sehen, was für eine wirklich große Verbrecherin ich war.
     
    Ich klappte das Büchlein zu. Sophia rannen die Tränen über die Wangen.
    »Ach, Charles, es ist furchtbar. Sie war ein kleines Ungeheuer, und doch… dennoch ist es rührend.«
    Ich empfand es genauso. Ich hatte Josephine irgendwie gemocht… Ich hatte sie immer noch gern. Man ist einem Menschen nicht weniger zugetan, wenn man erfährt, dass er Tuberkulose oder sonst eine schwere Krankheit hat. Josephine war, wie Sophia gesagt
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