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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal
Autoren: Katrin Burseg
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schoss wie Eiswasser herein und überflutete den Raum, doch sie spürte nichts und setzte sich wieder neben den Toten.
    Dann kam der Schmerz. Er war so unfassbar groß, dass sie glaubte, schreien zu müssen. In den vergangenen Wochen hatte sie sich diesen Moment vorgestellt, versucht, sich auf die Trauer vorzubereiten, doch die Wucht des Verlustes übertraf jedes vorstellbare Gefühl. „Christian, Christian, Christian …“, murmelte sie, und sein Name wurde zu einem geflüsterten Versprechen: „Unvergessen.“
    Sie blieb lange bei ihm und prägte sich sein Bild für alle Zeiten ein. Versunken beobachtete sie den Beginn des neuen Tages und wunderte sich, dass die Welt nicht stillstand. Sie suchte nach einem Zeichen, dass Trauer über dem Land lag. Dänemark, dein König ist tot, dachte sie. Doch niemand fühlte, spürte, ahnte seinen Tod. Nicht einmal Johanna kam, um sie aufzufangen und zu trösten.
    Zuletzt entschloss sie sich, seine Kinder hereinzurufen. Wiebke stand auf, steif und fast zu Eis erstarrt, und küsste Christians blasse, kalte Lippen. Dann schloss sie das Fenster und ging zur Tür. Noch einmal drehte sich um, bevor sie die Treppe hinabstieg. Erst als sie auf den letzten Stufen stolperte, brach sie in Tränen aus. Erschrocken blickten die Wachen sie an, und in diesem Moment wusste sie, dass auch sie für immer ging.
    Die Gerüchte hatten sie erreicht, bevor der Bote aus dem Palast eingetroffen war. „Der König ist tot“, gellte es durch die Straßen. Plötzlich sah man wieder Menschen auf den Plätzen, Männer und Frauen liefen zusammen, Kinder dazwischen, und von einer Stunde zur anderen schien die Kälte ihre Macht über die Stadt verloren zu haben. Das Leben war zurück, auch wenn es den Tod feierte.
    Kirsten Munk beobachtete das Treiben auf dem gepflasterten Platz vor dem Stadtpalais vom Fenster aus. Sie sah junge Burschen, die Fahnen schwenkten, Gesichter, deren Ausdruck zwischen Trauer und Freude schwankte. Jemand stimmte das Lied der Dänen an, und die dünne Melodie schwebte für einen Moment über den Köpfen der Menge, bevor noch mehr Stimmen einfielen und der Gesang schließlich kräftig und voll aus hunderten Kehlen erklang.
    Dann erfasste eine Bewegung die Menschen, und die Kopenhagener strömten die Straßen hinauf. Die Gräfin wusste, dass sie zu dem Ort liefen, an dem der König gestorben war. In wenigen Augenblicken würde Schloss Rosenborg eingekreist sein von Tausenden, die trauerten und doch gleichzeitig ihren neuen König begrüßen wollten. Die Gräfin sah, wie sich die Letzten dem Trauerzug anschlossen, dann entschloss auch sie sich, nicht länger zu warten.
    Kirsten Munk rief nach einer Kutsche. Schon seit Tagen stand ihr Gepäck für diesen Moment bereit. Es musste nur noch die Treppen hinuntergetragen werden, hinein in den Wagen, dann konnte auch sie Platz nehmen, sich einhüllen in ihre Pelzdecke, Hans Ulrich an ihrer Seite, um loszufahren und an ihr altes Leben anzuknüpfen. „Gyldenløve“, hallte ihr Schrei durch die Etagen des Hauses, doch er war schon dabei, ihr Gepäck in der Kutsche zu verstauen und winkte ihr aufgeregt zu.
    Auf der Fahrt drückte sie ihn an sich und pustete übermütig die Haare aus seinem Nacken. Sie sah, wie seine Adern an Hals und Schläfen pulsierten, er war viel aufgeregter als sie, und als sie seine Hand nahm, fühlte sie sich an wie ein feuchtes Stück Fleisch.
    „Werde ich ihn noch einmal sehen?“ Seine Stimme klang fast schüchtern.
    „Die Familie wird die Totenwache halten. Wahrscheinlich wird man seinen Körper später in der Halle aufbahren, damit das Volk Abschied nehmen kann. Dann wirst du ihn sehen können.“
    Er ließ ihre Hand los und drehte sich zum Fenster. „So viele Menschen“, murmelte er.
    Die Kopenhagener hatten sich vor Schloss Rosenborg eingefunden, die Menge war nun wieder zur Ruhe gekommen, die Gräfin sah trauernde Gesichter. Viele hatten die Mützen und Kappen vom Kopf genommen und blickten ergriffen auf die Mauern des Schlosses, hinter denen sie den Toten vermuteten, oder beteten leise murmelnd für eine fröhliche Auferstehung ihres Königs.
    An der Pforte hatte man die Wachen bereits von der Ankunft der Gräfin unterrichtet, die Kutsche passierte zügig, und im nächsten Augenblick öffnete sich ihnen schon das gewaltige Schlossportal, und der Glanz der Macht streckte seine Arme nach Kirsten Munk aus. Sie war nicht mehr länger die Verstoßene, sie war jetzt die Witwe des Königs, und der Hof empfing sie
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