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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal
Autoren: Katrin Burseg
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nicht mehr bist, will ich dir folgen.“
    „Wiebke.“ Er blickte ihr ins Gesicht, sah ihre Augen, die in Tränen schwammen, und sein Herz begann zu klopfen. „Wiebke, es ist mein letzter Wunsch. Noch in der Stunde meines Todes werden sie dich anklagen. Sie werden einen Vorwand finden, dich zu erniedrigen. Sie werden dich zur Hexe machen und dir alles nehmen. Warum machst du es mir nicht leichter?“
    Sie antwortete nicht, aber sie küsste ihn. Dann flüsterte sie die Worte, die er ihr einst geschenkt hatte:
    „Die Liebe ist langmütig,
    gütig ist die Liebe.
    Alles trägt sie,
    alles glaubt sie,
    alles hofft sie,
    allem hält sie stand.
    Die Liebe hört niemals auf.“
    Plötzlich dachte er, dass er sie schon gekannt hatte, bevor er sie das erste Mal gesehen hatte. Und er dankte Gott dem Herrn für seine Gnade, für diese wunderbare Frau und ihre Liebe.
    Dann blieb nichts mehr zu sagen. Sie hielten sich, blickten über das Eis und nahmen Abschied. Als sich die Kutsche mit den eisigen Wolken ihres Atems füllte und die bittere Kälte auch durch den Pelz gekrochen war, ließ Wiebke die Kutsche wenden. Langsam rollten sie zurück, und während sich der Turm des Schlosses in der Ferne abzeichnete, spürte Christian, dass sich der Tod zwischen sie gesetzt hatte.
    Am folgenden Morgen war Seine Majestät, König Christian IV., endgültig in das Reich Gottes gerufen worden. Es war der 28. Februar anno 1648, Licht fiel in den Turm, und auf dem klaren Strahl der Sonne sah Wiebke seine Seele in den Himmel ziehen. Lange noch hielt sie seine Hand, bis sie sicher war, dass Christian seinen Weg gefunden hatte und auch der letzte Hauch Leben aus seinem Körper gewichen war.
    Sein Sterben war friedlich gewesen. Nachdem sie zum Schloss Rosenborg zurückgekehrt waren, hatte sich Christian wieder ins Turmzimmer bringen lassen. Er wollte in seinem Lehnstuhl am Fenster zum Park sitzen, und dort hatte er noch einmal den Kronprinzen und seine Töchter empfangen, später auch den Hofprediger, der ein letztes Abendmahl mit ihm feierte. Auf seine Besucher machte der König einen schwachen, aber gefestigten Eindruck. Niemand, der das Turmzimmer verließ, ahnte, dass die letzten Stunden des Königs angebrochen waren. Nur Wiebke wusste, dass er Abschied nahm, und wenn sie sich etwas vorzuwerfen hatte, dann den Wunsch, die verbleibende Zeit allein mit ihm zu verbringen.
    Zunächst veränderte sich sein Zustand nicht. Wiebke hatte Kerzen entzündet, sich neben ihn gesetzt, ihre Hände um seine geschlossen. Sie sprachen nicht, sondern sahen hinaus in den Park, der unter dem Schnee wie eine noch unberührte Landschaft vor ihnen lag. Erst als die Dämmerung einsetzte und sich das zuversichtlich strahlende Weiß in graue Flächen verwandelte, um dann wenig später vom Schwarz der Nacht verschluckt zu werden, fragte sie sich, ob sie alles, was kommen würde, aushalten könnte.
    Nachdem die Turmuhr zur Mitternacht geläutet hatte, schlug Christians Herz schwächer. Er hatte die Augen geschlossen, und zuerst glaubte sie, er würde in einen ganz normalen Schlaf finden. Doch tatsächlich dämmerte er bereits dem Tod entgegen. Sie spürte, dass seine Arme und Beine immer kälter wurden, sah, dass seine Haut immer fahler wurde, und hörte seinen Atem stolpern.
    Wiebke begann zu beten. Es war kein Gebet im eigentlichen Sinne. Es waren vielmehr Gedanken, Worte der Liebe und der Hoffnung, die sich ohne ihr Zutun formten, und sie wusste, dass Christian sie spüren konnte. Sie bat Gott um seine Barmherzigkeit, um Gnade für Christian, um seine Gerechtigkeit, die ihm als Liebe begegnen sollte, und als gegen Morgengrauen keine Worte mehr in ihr waren, schloss sie mit dem einen, magischen, das Ursprung und Ewigkeit in sich vereinigte: „Amen.“
    Wenig später kam Christian noch einmal zu sich. Er versuchte sich aufzurichten, in einer letzten Anstrengung streichelte er ihre Wangen.
    „Wiebke“, flüsterte er. Dann sank sein Kopf zur Seite. Seine letzten Worte, kaum noch hörbar: „In deine Hände, Herr Jesus, empfehle ich meinen Geist.“ Dann ein rasselndes Seufzen, der Atem setzte aus, bevor auch sein Herz stillstand. Er verließ sie.
    Sie hielt seinen Körper noch für eine Weile, gab ihm ihren letzten Trost mit auf den Weg. Dann stand sie vorsichtig auf und öffnete seiner Seele ein Fenster, dass sie sich nicht in einen Kaminzug verirrte oder durch das Hörrohr in den Schlosskeller hinabstieg, um dort als flackerndes Licht umherzuirren. Die kalte Luft
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