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Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Titel: Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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weckte. Damit sie ihm mit dieser immer wiederkehrenden Geschichte nicht mehr auf die Nerven fiel!
    Es war ihr, als schmecke der Kaffee ein wenig salzig, nach den heißen Tränen so vieler Nächte ohne Trost. Isaura schluckte. Justus war ein viel beschäftigter Mann mit einem verantwortungsvollen Job. Er brauchte seinen Schlaf. Und es war nichts Ungewöhnliches, dass Paare in einer langjährigen Beziehung sich für getrennte Schlafzimmer entschieden. Das war überhaupt kein Grund, beunruhigt zu sein.
    Aber Isaura war beunruhigt. Nicht nur des Traums wegen. Da war noch etwas anderes, das sie nicht fassen konnte. Oder nicht fassen wollte? Was war es, das wie ein unsichtbares Gift aus jeder Ritze kroch und sie heimtückisch umwaberte? War es nur die Gewohnheit, die sich nach den Jahren zunehmend ausbreitete? Justus leerte seine Tasse und stellte sie an den Rand der Spüle.
    »Wenn ich es nur greifen und verstehen könnte«, murmelte Isaura und wusste selbst nicht, ob sie damit die schleichende Veränderung ihrer Ehe meinte oder den bedrückenden Traum, der sie mit solch zäher Beharrlichkeit verfolgte. Sie sah ihrem Mann in die Augen und öffnete den Mund, blieb aber stumm, als sie seinen abwehrenden Ausdruck sah.
    Justus hob die Hände und wich einen Schritt zurück. »Wir reden später, wenn ich zurück bin. Dann kannst du mir alles erzählen. Den ganzen Traum, wenn du dich noch an ihn erinnerst. Aber nicht jetzt. Ich bin spät dran.« Er machte zwei schnelle Schritte auf sie zu und hauchte ihr einen flüchtigen Kuss auf das ungekämmte Haar. »Wir sehen uns am Freitag«, rief er schon im Hinausgehen. »Mit dem Essen brauchst du nicht zu warten. Ich weiß nicht, wie spät es wird. Ich rufe dich von unterwegs an.«
    Die Wohnungstür klappte. Mit einem Knall zerbarst Justus’ Kaffeetasse auf dem Fliesenboden. Isaura schloss gequält die Augen. Sie fühlte sich zu ausgelaugt, um aufzustehen und die Scherben aufzuheben. Sie konnte sich auch nicht dazu aufraffen, sich von ihrem Barhocker zu erheben, ins Bad zu gehen und sich ein wenig herzurichten. Sie trank nicht einmal ihre Tasse leer. Sie saß nur da, während die Zeit verfloss.
    »Burn-out«, hatte ihre Freundin Aline gesagt und ihr zu einer Kur oder zumindest zu einem ausgiebigen Urlaub geraten.
    »Am besten schnappst du dir Justus und machst mit ihm drei Wochen Urlaub auf einer winzigen Insel in den Tropen, wo man gar nichts anderes tun kann, als seine Ehe mit viel Sex wieder in Schwung zu bringen«, waren ihre Worte gewesen, begleitet von einem vielsagenden Augenrollen. Doch Isaura dachte weder an eine Kur noch an einen Urlaub. Sie sah wieder die fremde und inzwischen doch so vertraute Frau in ihrem strengen, düsteren Gewand vor sich stehen, der Blick von Schmerz verdunkelt. Nun brannte eine einzelne Kerze in dem sonst nur von Finsternis erfüllten Raum. Das Licht huschte flackernd über das bestickte Mieder und die steifen Röcke bis hinunter zu den Schuhspitzen, die unter dem Saum hervorlugten. Sie sah jedes Detail so deutlich, dass sie glaubte, mit den Fingerspitzen über die kunstvollen Stickereien streichen zu können.
    Isaura sprang auf und lief ins Bad. Rasch duschte sie sich und zog sich an. Ihr langes, dunkelbraunes Haar band sie lediglich zu einem Zopf zusammen. Dann schnappte sie sich ihre Aktentasche und lief aus dem Haus. Wenn sie sich beeilte, dann war sie so früh in der Redaktion, dass sie noch vor der Morgenbesprechung ins Archiv gehen konnte, dem sich eine kleine Bibliothek anschloss. Sie hatte das Regal und die Buchrücken der Wälzer vor Augen, in denen sie als Erstes nachsehen wollte. Später würde sie an ihrem Schreibtisch noch ein wenig im Internet stöbern können. Vielleicht er fuhr sie dann wenigstens, aus welcher Zeit die Frau in ihrem Traum stammte. Oder gar, in welchem Land sie gelebt hatte.
    Wenn sie denn gelebt hatte.
    Isaura ließ sich in den Sitz ihres Wagens gleiten. Den Zündschlüssel schon in der Hand hielt sie inne. Sie horchte in sich hinein. Ja, sie war sich sicher. Diese Frau hatte gelebt und ein schweres Schicksal erduldet.
    »Isaura? Bist du hier?«
    Obwohl ein Teil ihres Geistes den Ruf durchaus vernommen und verstanden hatte, antwortete sie nicht. Sie saß an einem der schmalen Tische, die sich an der Fensterseite des Archivs an der Wand entlangreihten, und starrte auf die Seite eines aufgeschlagenen Buchs, die ein bestimmt schon mehrere Hundert Jahre altes Gemälde zeigte. Eine Frau starrte ihr aus dunklen Augen
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