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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß
Autoren: Jules Verne
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gewesen sein, der in den walachischen
    Sagen so vielfach gefeiert wird und der zu Curté d’Argis das
    berühmte Schloß Rudolphs des Schwarzen erbaut hat.
    Herrschen also Zweifel bezüglich der Architekten, so
    ist das doch nicht der Fall bezüglich der Familie, die diese
    — 30 —
    Burg besaß. Die Barone von Gortz waren schon seit undenk-
    lichen Zeiten die Herren des Landes gewesen. Sie kämpften
    wacker mit in allen Kriegen, die die transsilvanischen Pro-
    vinzen mit Blut düngten, und schlugen sich gegen die Un-
    garn, die Sachsen und die Szekler; ihr Name erklingt in den
    »Cantices«, den »Doïnes« (Volksliedern), in denen das An-
    denken an jene traurigen Zeiten fortlebt; sie führten als De-
    vise das berühmte walachische Sprichwort: Da pe maorte,
    »gib bis zum Tod!« Und sie »gaben« immer, sie vergossen
    ihr Blut für die Sache der Unabhängigkeit – das Blut, das
    von den römischen Ahnen her in ihren Adern strömte.
    Bekanntlich blieben alle Anstrengungen, alle Opfer er-
    folglos. Die Nachkommen jenes tapferen Volkes verfielen
    mehr und mehr unwürdiger Unterjochung. Jetzt haben sie
    keine politische Selbständigkeit mehr, drei schwere Nie-
    derlagen haben sie vernichtet. Die Walachen Transsilvani-
    ens (Siebenbürgens) verzweifeln aber noch immer nicht,
    das heutige Joch einst wieder abzuschütteln. Die Zukunft
    gehört ihnen, und mit unerschütterlichem Vertrauen wie-
    derholen sie die Worte, in denen sich ihr Leben und Stre-
    ben zusammendrängt: Rôman on péré! »Der Rumäne kann
    nicht untergehen!«
    Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts war der letzte Re-
    präsentant der Herren von Gortz der Baron Rudolph. Im
    Karpatenschloß geboren, hatte er schon in zarter Jugend
    seine Familie rings um sich absterben sehen. Mit 22 Jah-
    ren stand er allein in der Welt. Alle seine Angehörigen wa-
    ren Jahr für Jahr dahingegangen ... abgefallen wie die Äste
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    der Schicksalsbuche, mit der der volkstümliche Aberglaube
    auch den Bestand der Burg selbst verknüpfte. Was sollte
    nun der Baron Rudolph – ohne Eltern, ja sogar ohne Ver-
    wandte – beginnen, um die Muße der drückenden Einsam-
    keit auszufüllen, die der Tod um ihn geschaffen hatte? Sei-
    nen Geschmack, seine Neigungen und Fähigkeiten hätte
    schwerlich jemand bestimmt erkennen können, außer daß
    der junge Mann eine unwiderstehliche Leidenschaft für die
    Musik an den Tag legte, und vor allem für den Gesang der
    hervorragenden Künstler seiner Zeit. So überließ er das
    schon stark verfallene Schloß eines Tages der Pflege einiger
    alter Diener und ... verschwand. Später vernahm man von
    ihm nur, daß er sein übrigens sehr beträchtliches Vermö-
    gen dazu verwendete, die berühmtesten Musikstädte Euro-
    pas und die Theater Deutschlands, Frankreichs und Italiens
    zu besuchen, wo er seinen unersättlichen Dilettantenträu-
    mereien genüge tun konnte. War er nur ein exzentrischer
    Charakter oder ein halb Geisteskranker? Seine seltsame Le-
    bensführung hätte fast das Letztere vermuten lassen.
    Immerhin erlosch die Erinnerung an die Heimat keines-
    wegs im Herzen des jungen Baron Rudolph von Gortz. Auch
    auf seinen weitausgedehnten Reisen hatte er das transsilva-
    nische Vaterland nicht vergessen, so daß er sogar an einer
    jener blutigen Empörungen der rumänischen Bauern gegen
    die ungarischen Unterdrücker persönlich teilnahm.
    Die Nachkommen der alten Dacier wurden besiegt und
    ihr Gebiet fiel den Siegern zur Beute.
    Infolge dieser Niederlage verließ der Baron Rudolph end-
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    gültig das Schloß seiner Väter, von dem übrigens einzelne
    Teile schon in Trümmer fielen. Der Schnitter Tod beraubte
    die Burg auch bald ihrer letzten Hüter, und so stand sie seit-
    dem völlig vereinsamt. Was den Baron Gortz betraf, so ging
    das Gerücht, daß er sich aus Patriotismus dem berüchtigten
    Rosza Sandor, einem früheren Straßenräuber, angeschlos-
    sen habe, aus dem der Unabhängigkeitskampf übrigens ei-
    nen Bühnenhelden gemacht hatte. Zum Glück trennte sich
    Rudolph von Gortz nach Beendigung des Kampfes von den
    Genossen des übel beleumundeten »Betyar«, und daran tat
    er klug, denn der alte Wegelagerer, der wieder zum Anfüh-
    rer einer Diebesbande geworden war, fiel schließlich in die
    Hände der Polizei, die sich damit begnügte, ihn in Szamos-
    Uyvar einzukerkern.
    Daneben blieb im Komitat auch noch die allgemein ge-
    glaubte Sage verbreitet, daß Rudolph von Gortz bei einem
    Zusammentreffen von
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