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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß
Autoren: Jules Verne
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eher blind.«
    »Nur die Schäfer nicht!«
    »Mag sein! Doch wenn Ihr auch gute Augen habt, meine
    sind doch noch besser, sobald ich sie ans Ende meines Fern-
    rohrs bringe.«
    »Das müßt’ ich erst sehen.«
    »Werft doch einmal selbst einen Blick durch das Fern-
    rohr.«
    — 20 —
    »Ich?«
    »Versucht’s nur.«
    »Und das kostet nichts?« fragte Frik, der von Natur et-
    was mißtrauisch vorsichtig war.
    »Nichts ... gar nichts, wenigstens wenn Ihr das Fernrohr
    nicht kauft.«
    In dieser Hinsicht beruhigt, nahm Frik das Instrument,
    das der Hausierer für ihn passend einstellte. Nachdem er
    dann das linke Auge geschlossen hatte, brachte er das rechte
    nah an das Okular.
    Erst blickte er in der Richtung des Vulcans und aufwärts
    nach dem Plesa hinaus. Nachher senkte er das Instrument
    und richtete es nach dem Dorf Werst hinab.
    »Wahrlich«, rief er, »es ist doch richtig! Das trägt weiter
    als meine Augen. Da die Landstraße ... ich erkenne darauf
    die Leute! Richtig, Nic Deck, der Förster, der mit der Flinte
    auf dem Rücken vom Rundgang heimkehrt, mit ...«
    »Wie ich’s Euch sagte!« unterbrach ihn der Hausierer.
    »Ja, richtig, das ist Nic!« fuhr der Schäfer fort. »Und wer
    ist das Mädchen im roten Rock und schwarzen Leibchen,
    das aus dem Haus von Meister Koltz tritt, wie um jenem
    entgegenzugehen?«
    »Seht nur ordentlich hin, Schäfer, und Ihr werdet das
    Mädchen ebenso gut erkennen, wie den jungen Mann ...«
    »Ja, wirklich, das ist Miriota, die schöne Miriota! – Oh,
    diese verliebten Leute! Jetzt sollen sie aber auf der Hut sein,
    denn ich habe sie hier deutlich am Ende des Fernrohrs, und
    es entgeht mir keine Zärtlichkeit.«
    — 21 —
    »Nun, was sagt Ihr jetzt von dem Instrument?«
    »Was soll ich sagen? – Daß man damit weiter sehen kann
    als sonst.«
    Wenn Frik in seinem Leben noch niemals durch ein
    Fernrohr geblickt hatte, mußte das Dorf Werst doch wohl
    zu den Ortschaften des Komitats Klausenburg gehören, die
    am weitesten hinter der Zeit zurückgeblieben waren. Und
    daß es so war, wird der Leser bald selbst erkennen.
    »Jetzt, Schäfer«, fuhr der Fremde fort, »schaut noch ein-
    mal hindurch, aber weiter als nach Werst. Das Dorf liegt viel
    zu nah. Sehr darüber hinaus, weit, weit hinaus!«
    »Und das kostet auch nicht mehr?«
    »Keinen Heller mehr.«
    »Gut. Ich will mich einmal in der Gegend der ungari-
    schen Sil umsehen. Aha, da ist der Kirchturm von Livadzel!
    Den erkenn’ ich an dem Kreuz, woran der eine Arm fehlt.
    Da ... und weiter draußen seh’ ich den Turm von Petroseny,
    auch seinen Weißblechwetterhahn mit geöffnetem Schna-
    bel, so als wollte er seine Glucken rufen! Und ganz unten ...
    das muß der Turm von Petrilla sein. Doch, nicht wahr, Hau-
    sierer, Ihr sagtet, das kostet deshalb immer nicht mehr.«
    »Das Hindurchsehen kostet nichts, Schäfer.«
    Frik wandte sich jetzt dem Plateau von Orgall zu; dann
    folgte er mit dem Fernrohr den Waldmassen im Schatten
    der Abhänge des Plesa, und schließlich trat die Burg in das
    Sehfeld des Glases.
    »Richtig!« rief er. »Der vierte Ast liegt zu Boden ... ich
    habe doch richtig gesehen! Na, den wird auch keiner aufhe-
    — 22 —
    ben, um ihn am Johannisfest als hübsche Fackel zu gebrau-
    chen. Nein, keiner ... nicht einmal ich selbst! Das hieße ja
    Leib und Seele der Hölle verschreiben! Doch keine Sorge;
    einen gibt’s doch, der ihn noch diese Nacht in seiner Höl-
    lenküche verbrennen wird ... das ist der Chort!«
    Der Chort – so heißt der Teufel, wenn er hier im Land im
    Gespräch genannt wird.
    Der Jude hätte vielleicht nach einer Erklärung dieser
    Worte gefragt, die für jeden unverständlich sein mußten,
    der nicht aus Werst oder dessen Nachbarschaft stammte,
    doch schon rief Frik wieder mit einer aus Schrecken und
    Erstaunen gemischten Stimme: »Da, was ist denn das? Ein
    Dunst, der über dem alten dicken Turm schwebt? Ist’s denn
    wirklich nur Dunst? Nein, das könnte man für Rauchwol-
    ken halten! Unmöglich! Seit langen, langen Jahren haben
    die Schornsteine der Burg nicht mehr geraucht!«
    »Wenn Ihr da draußen Rauch seht, Schäfer, dann wird’s
    schon Rauch sein.«
    »Nein, Hausierer, nein! Wahrscheinlich ist nur das Glas
    Eures Instruments angelaufen.«
    »Dann wischt es doch ab.«
    »Und wenn ich das täte.«
    Frik drehte das Fernrohr um und setzte es, nachdem er die
    Gläser mit dem Ärmel abgerieben hatte, wieder vor das Auge.
    Es war tatsächlich eine Rauchsäule, die dort aus
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