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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß
Autoren: Jules Verne
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betrachtete, die ihm so gut wie neu waren und
    deren Bestimmung er nicht kannte.
    »He, Hausierer«, fragte er, den Arm vorstreckend, »wozu
    dient das Ding da, das wie die Zähne eines alten Gehenkten
    an Eurem Gürtel klappert?«
    »Oh, das sind lauter wertvolle Sachen«, erwiderte der
    Fremde, »lauter Dinge, die all und jedem nützlich sind.«
    »All und jedem«, entgegnete Frik augenzwinkernd, »auch
    für einen Schäfer?«
    »Auch jedem Schäfer und Hirten.«
    »Und das lange glänzende Ding da?«
    »Dieses Instrument«, belehrte ihn der Jude, indem er
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    ein Thermometer in der Hand auf und ab gleiten ließ, »sagt
    Euch, ob es warm oder kalt ist.«
    »Aber, guter Freund, das weiß ich doch allein, wenn ich
    unter der dünnen Jacke schwitze oder unter dem dicken
    Flausrock friere.«
    Offenbar genügten solche Wahrnehmungen einem Schä-
    fer, der sich um das Warum dabei nicht kümmerte.
    »Und die alte dicke Uhr dort mit dem einen Zeiger
    dran?« erkundigte er sich weiter und wies auf ein Aneroid-
    barometer.
    »Das ist keine alte Uhr, sondern ein Instrument, das Euch
    vorhersagt, ob’s morgen schön sein oder regnen wird.«
    »Ist das wahr?«
    »Gewiß, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
    »Na, es mag ja sein; ich möchte das Ding aber doch
    nicht, selbst wenn’s nicht mehr als einen Kreuzer kostete.
    Ich brauche ja nur nachzusehen, wie die Wolken durch die
    Berge ziehen oder ob sie hoch über deren Gipfeln hingehen,
    da weiß ich das Wetter auch für 24 Stunden im voraus. Da
    draußen, Ihr seht wohl den Nebel, der fast auf der Erde hin-
    schleicht? Na, wie ich Euch sage, das bedeutet für morgen
    Wasser.«
    Der Schäfer Frik, ein langgeschulter Wetterbeobachter,
    konnte in der Tat ohne ein Barometer auskommen.
    »Da ist wohl die Frage überflüssig, ob Ihr vielleicht eine
    Uhr braucht?« nahm der Handelsjude wieder das Wort.
    »Eine Uhr? Ach, ich habe eine, die geht ganz allein und
    hängt mir, wo ich gehe und stehe, über dem Kopf – das ist
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    die Sonne da oben. Seht Ihr, Freundchen, wenn die sich
    über die Spitze des Roduk da drüben stellt, dann ist es Mit-
    tag, und wenn sie durch das Loch des Egelt guckt, ist es
    6 Uhr abends. Das wissen meine Schafe ebenso gut wie ich;
    die Schafe und die Hunde erst recht. Da behaltet nur Euren
    Kram.«
    »Allerdings«, bemerkte der Händler, »wenn ich nur Schä-
    fer als Kunden hätte, würd’ es mir schwer werden, etwas zu
    verdienen. Ihr braucht also gar nichts von meinen Waren?«
    »Nicht das Geringste!«
    Die billigen Ramschwaren des Juden waren übrigens
    auch wirklich nicht viel wert; die Barometer zeigten gerade
    dann nicht auf »Schön Wetter« oder »Veränderlich«, wenn
    es ihre Pflicht gewesen wäre, und die Uhrzeiger bezeichne-
    ten die Stunden zu lang oder die Minuten zu kurz – mit
    einem Wort, der Jude trug den reinen Ausschuß trödeln.
    Den Schäfer mochte auch ein gewisses Mißtrauen beschlei-
    chen, denn er machte gar keine Miene, den Beutel zu zie-
    hen. Da, als er schon den langen Stab zum Weitergehen be-
    wegte, tippte er noch auf eine Art Röhre, die am Tragegurt
    des Hausierers hing, und sagte: »Wozu dient denn die kleine
    Röhre hier?«
    »Diese Röhre ist keine simple Röhre.«
    »Na, es ist doch auch kein Ofenrohr?«
    Der Schäfer verstand darunter eine Art altmodischer
    Pistole mit erweiterter Mündung.
    »Nein«, erklärte der Jude, »das ist ein Fernrohr«.
    Es war in der Tat eines jener Jahrmarktinstrumente, die
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    die betrachteten Gegenstände fünf- bis sechsmal vergrö-
    ßern oder sie um ebensoviel näher zu bringen scheinen,
    was ja in der Wirkung aufs selbe hinausläuft.
    Frik hatte das Fernrohr losgebunden; er betrachtete es
    genau, drehte und wendete es nach allen Seiten und ver-
    schob die Einzelzylinder übereinander.
    Dann richtete er wie ungläubig den Kopf hoch auf.
    »Ein Fernrohr?« fragte er.
    »Ja, Schäfersmann, und zwar ein ganz ausgezeichnetes,
    das Euch befähigt, viel weiter als gewöhnlich zu sehen.«
    »Oho, ich habe sehr gute Augen, Freundchen. Bei klarer
    Luft erkenne ich die entlegensten Felsen bis zur Spitze des
    Retyezat und die letzten Bäume im Grund des Talwegs des
    Vulcan.«
    »Ohne die Augen halb zu schließen?«
    »Ohne solche Kunststückchen. Das verdank’ ich dem
    heilsamen Tau, wenn ich am Abend bis zum Morgen unter
    freiem Himmel schlafe. Glaubt nur, das wäscht die Pupille
    rein.«
    »Was, der Tau?« erwiderte der Hausierer. »Der macht ja
    die Leute weit
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