Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt
Autoren: Werner Schmitz
Vom Netzwerk:
erwischt hat.«

    »Ist sie immer noch in derselben Zelle?«

    »Nein, nein. Sie haben sie auf die Krankenstation
verlegt. Ich hab der Ärztin Geld gegeben, dass sie sie anständig behandelt. Das
macht man hier so.«

    »Und was sagt Katharina?«

    »Sie kennen sie ja, Herr Schreiber. ›Reg dich nicht auf, Disi.
Unkraut vergeht nicht.‹ So war sie schon, wie sie noch ganz klein war, meine
Treni.«

    Schreiber konnte sich denken, dass Katharina gegenüber
der alten Frau die Harte gemimt hatte, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen.
Nach seinem Besuch im Knast glaubte er nicht, dass Katharina die Messerattacke
so einfach wegsteckte. Aber davon sagte er der Disi nichts. Er erzählte ihr
lieber von seinem Besuch in Berlin und was Karsten Groß ihm versprochen hatte.

    »Oijoijoi. So ein berühmter Politiker will sich für uns
einsetzen. Dann kommt sie bestimmt bald heraus.«

    Schreiber nickte mit dem Kopf, obwohl er nicht daran
glaubte. »Wir können Katharina vielleicht noch anders helfen, Frau Orend. Gibt
es noch Sachsen in Sercaia?«

    »In Schirkanyen?« Die alte Frau überlegte einen Moment. »Beim
Sachsentreffen in Birthälm sind immer welche. Ein paar alte Frauen wie ich.
Gebockelt mit einer weißen Haube. Eine schöne Tracht haben sie in Schirkanyen.«

    »Würden Sie mit mir hinfahren zu den Leuten?«

    Hannes erzählte ihr die Geschichte, die Ovidiu herausgefunden
hatte. »Wir müssen diesen Mann finden, Frau Orend.«

    Die Disi war Feuer und Flamme. »Ich will nur rasch was
anderes anlegen. In der Schürze kann ich doch nicht über Hattert fahren.«

    Schreiber brachte sie zu ihrem Hof und wartete beim Auto,
während die alte Frau sich fein machte. Der Spätsommermorgen auf der Dorfstraße
gefiel ihm. Die größte Hitze war vorbei. Ein Lüftchen wie Samt und Seide
streichelte seine Glatze. Dass es nach Kuhscheiße roch, störte ihn nicht. Er studierte
die Karte wegen des Weges von Wolkendorf nach Sercaia. Es mochten vierzig
Kilometer sein. Die Straße machte einen guten Eindruck – auf dem Plan.

    »Wir fahren über Zeiden«, bestimmte Sara Orend. Sie
steckte in einem Sommerkleid, wie es die alten Frauen in Schreibers
Kinderjahren getragen hatten, gedeckte Farben klein gemustert.

    Die Straße von Wolkendorf nach Codlea, das Sara Zeiden
nannte, zwang Hannes einen Fahrstil auf, den er an heimischen Rentnern hasste.
Mit dreißig umschlich er die tiefsten Löcher und war froh, als sie auf die
Nationalstraße 1 stießen. Er fädelte den Wagen in den Verkehr auf der großen
West-Ost-Verbindung, kroch zwischen neuen Lastern und alten Autos durch die
Vorberge der Karpatenkette, die in dieser Gegend nach Norden abknickte, grobe
Richtung: Ukraine.

    Katharinas Oma hielt ihre Handtasche vor dem Bauch und
gab den Fremdenführer. Zu jedem Kaff auf der Strecke fiel ihr etwas ein. Hannes
hatte kein Ohr für Saras Geschichten. In seinem Kopf schwirrten Bilder einer verletzten
Frau im Gefängnis. Bären auf der Flucht vor den Treibern bestürmten ihn.
Förster erkannten ihn als den Mann, der den Futtervergifter begleitet hatte.
Ohne zu fragen, steckte er sich eine Zigarette an und blies den Rauch aus dem
Fenster. Er war froh, als endlich das Ortsschild Sercaia auftauchte. Vor einem Kaufladen hielt er an. Sara ging
hinein, um sich nach Sachsen zu erkundigen, mit denen sie sprechen konnten.
Nach ein paar Minuten kam sie zurück und dirigierte ihn in eine Seitenstraße.

    »Der Hof bei der Brücke ist es. Da soll eine alte Sächsin
wohnen.«

    Der Putz an der Fassade bröckelte, die Schlagläden
lechzten nach einem Schluck Farbe. Sara drückte die Klinke der eisernen Hoftür.
Sie traten ein. Auf den Stufen vor der Haustür hockte eine Frau. In ihrer
Schürze lag ein Häufchen Erbsen, die sie aus den Schalen gepult hatte. Durch
eine Brille sah sie die Besucher großäugig an. Wie Sara Orend trug sie ein
Kopftuch. Ihr Gesicht war verrunzelt, die Mundwinkel zeigten zu Boden. Die Frau
hatte sicher ihre achtzig Jahre auf dem Buckel. Sie ächzte, als sie aufstand.
Sara gab ihr die Hand und redete sie auf Sächsisch an. Die Augen der Alten
leuchteten auf. Sie sagte ein paar Sätze, die entschuldigend klangen, und
wandte sich dann Schreiber zu. Hannes machte einen Diener beim Handschlag und
nannte seinen Namen.

    »Ich bin die Rosa Hermannstädter«, sagte die alte Frau. »Ich
bin die älteste Sächsin von Schirkanyen. Mich hat der Herrgott vergessen zu
holen.«

    Sie führte das ungleiche Paar unter einen Maulbeerbaum,
in dessen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher