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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert
Autoren: Richard Morgan
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verschwendet hatte. Vor Jahren, bei ihrer ersten Begegnung, während der Krieg immer noch tobte und es keinen anderen sicheren Halt gab als den Tag, der einem geschenkt war –, na ja, damals lagen die Dinge anders. Dass Imrana eine Handvoll Jahre älter war als er, hatte ihr einen dunklen, exotischen Reiz verliehen, einen Wonneschauer hervorgerufen, den er von seinen eher gewöhnlichen Bordellbesuchen nicht gewohnt war. Alter und höfische Geziertheit waren das überwältigende Parfüm, das ihr anhaftete, ein aufsteigender, verrückt machender Duft, der ihn wie Patschuli oder Rosenöl betörte und ihn mit einem rastlosen, unbestimmbaren Hunger erfüllte.
    Jetzt, beim Gedanken daran, dass ihm das Alter ebenfalls zusetzte, erfüllten ihn ihre Gefechte an vorderster Front gegen denselben Feind mit größerer Besorgnis, als er sich eingestehen wollte.
    Tja, Drachentöter. Das bereitet dir fast genauso viel Sorgen wie dieser Armleuchter mit seinem Wappen, den sie sich als Gatten geangelt hat. Und das möchtest du auch nicht gern zugeben, oder?
    Ah, ja. Das.
    Ja, das – Großoffizier Saril Ashant, von seinem Auftrag in Demlarashan zurück, wo er so standhaft und selbstsüchtig war, sich nicht von den Rebellen töten zu lassen, die er besiegen sollte. Ist stattdessen nach Hause gekommen, ruhmbedeckt, und hat als rechtmäßige Belohnung ein paar Wochen Fronturlaub verlangt, komplett mit nächtlicher ehelicher Zuneigung …
    Lass gut sein, Eg!
    »Wünscht Ihr noch etwas anderes, Mylord?« Der Barbier säuberte
ihm jetzt völlig unnötig Kragen und Schultern. »Vielleicht eine Massage?«
    Egar war der Ansicht, dass er mit der brutalen Behandlung, die seine Ohren gerade erfahren hatten, für den heutigen Tag genug hätte. Und in dem Barbiergeschäft fühlte er sich auf einmal eingeengt. Er schüttelte den Kopf, riss sich mit einiger Anstrengung aus seinem dumpfen Brüten, erhob sich aus dem Sessel und fummelte nach seiner Geldbörse. Sah den großen, frisch rasierten Mann im Spiegel dasselbe tun. Der Anblick überrumpelte ihn wie stets – Scheiße, ist das viel graues Haar! Um etwas zu sagen, während er die Münzen hervorholte, fragte er: »Und diese Landsleute von mir, die kommen häufig her?«
    »Regelmäßig, ja, Mylord.« Der Barbier nahm die dargebotene Bezahlung entgegen. »Habt Ihr eine Botschaft für sie?«
    Der Drachentöter starrte grimmig in den Spiegel und kämpfte darum, nicht die jähe Erschöpfung durchschimmern zu lassen. Was würde er sagen? Welche Botschaft könnte er womöglich an junge Männer weitergeben, die von der gleichen idiotischen, unzerstörbaren Zuversicht besessen waren, wie er sie selbst empfunden hatte, als er vor ein paar Jahrzehnten in die Stadt gekommen war?
    Genießt es, solange es schmeckt. So lange wird’s nicht sein, vielleicht?
    Lasst euch gut für die Jahre bezahlen, die ihr hingebt?
    Wenn sie sich regelmäßig im Palastviertel rasieren ließen, hatten sie diese Lektion bereits besser gelernt, als er sie lehren konnte.
    Der Mann im Spiegel betrachtete ihn stirnrunzelnd. Der Barbier lungerte herum. Hinter der verräterischen Erschöpfung kringelte sich ein weiteres Gefühl wie Rauch; wie etwas, das
herbeigerufen, aber noch nicht zu greifbarer Gestalt geworden war. Er versuchte, es zu benennen – und versagte.
    Stattdessen schüttelte er das Gefühl ab.
    »Keine Botschaft«, sagte er und trat wieder hinaus in die sonnenhelle Straße.
     
    Eine Weile lang ließ er sich treiben, ließ sich vom Fluss aus Menschen durch das Palastviertel tragen und sich davon einlullen. Frauen in leuchtend gefärbten Gewändern kamen vorüber, wie Süßigkeiten, die allzu zahlreich waren, um sich für eine zu entscheiden, dazu der berauschende Duft des Parfüms. Sklaven und Bedienstete in der Livree dieses oder jenes Höflings gingen gebückt unter gepolsterten Sätteln, die fünf Fuß hoch beladen waren, oder – das waren die glücklichen – sie brachten eine versiegelte Nachricht von einem herrschaftlichen Haus zum anderen. Da ein Adliger, in seinem Kielwasser ein Gefolge, das ihn umschwärmte wie kreischende Seemöwen das Heck eines Fischerboots. Hier und dort die seltsamen Paare der Stadtwache, deren Kürasse viel zu hell in der Sonne blitzten. Bettler und Straßenpoeten, die nicht so schmutzig, missgestaltet oder störend waren, dass man sie fortschaffen musste.
    Schwache Düfte von Obst und Blumen wanden sich von einem Markt ganz in der Nähe herüber. Dazu erklangen die abgerissenen
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