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Das Kadett

Das Kadett

Titel: Das Kadett
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Granitmauern blitzten und funkelten in der warmen Herbstsonne, obwohl über der Hauptstadt Vorbarr Sultana die Dunstglocke der Industrie lag. Der Lärm auf der Straße weiter unten zeigte an, dass dort ein ähnliches Haus abgerissen wurde, um Platz für ein modernes Gebäude zu schaffen. Miles blickte zu dem Hochhaus auf der anderen Straßenseite hinauf. Eine Gestalt bewegte sich auf dem Dach. Die Verteidigungsanlagen hatten sich verändert, aber die Wachposten gingen immer noch die Runde.
    Bothari stand in voller Größe neben Miles. Jetzt bückte er sich plötzlich und hob eine Münze vom Gehsteig auf. Sorgfältig verstaute er sie in der linken Tasche, die einem ganz besonderen Zweck diente.
    Miles verzog einen Mundwinkel nach oben. In seinen Augen funkelte freundlicher Spott. »Immer noch für die Aussteuer?«
    »Natürlich«, antwortete Bothari gelassen. Seine Stimme war ein tiefer Bass mit monotonem Rhythmus. Man musste ihn ziemlich lange kennen, um diese Ausdruckslosigkeit interpretieren zu können. Miles kannte auch die winzigste Veränderung im Tonfall, wie ein Mensch, der sich in seinem dunklen Zimmer genau auskennt.
    »Du sammelst die Zehntelmark für Elena, so weit ich zurückdenken kann. Dabei ist die Aussteuer schon mit der Kavallerie aus der Mode gekommen. Um Himmels willen! Sogar die Vor heiraten heutzutage ohne Aussteuer. Wir leben nicht mehr in der Zeit der Isolation«, sagte Miles mit nachsichtigem Spott. Er gab sich Mühe, Bothari wegen dieser Besessenheit nicht zu verletzen. Schließlich hatte Bothari auch Miles’ verrückten Wunsch immer ernst genommen.
    »Ich möchte, dass sie alles richtig und ordentlich hat.«
    »Inzwischen müsstest du so viel haben, dass du ihr Gregor Vorbarra kaufen könntest«, sagte Miles und dachte an die unzähligen Beschränkungen, die sich sein Leibwächter alle die Jahre auferlegt hatte, um seiner Tochter eine ordentliche Aussteuer zu geben.
    »Über den Kaiser macht man keine Scherze!« Bothari wies diesen Seitenhieb als keineswegs lustige Bemerkung gebührend zurück. Miles seufzte und machte sich an den mühsamen Aufstieg mit Beinen, die steif in starren Plastikschienen steckten.
    Die Schmerztabletten, die er noch im Militärlazarett eingenommen hatte, verloren langsam an Wirkung. Er war unbeschreiblich müde. Die Nacht hatte er schlaflos damit verbracht bei örtlicher Betäubung mit dem Chirurgen zu plaudern und zu blödeln, während dieser die winzigen Knochensplitter wieder zusammensetzte, als habe er ein selten schwieriges, widerspenstiges Puzzle vor sich. Ich habe mich prima gehalten , tröstete Miles sich, aber jetzt wollte er nur noch runter von der Bühne und zusammenbrechen. Es sind nur noch ein paar Akte!
    »Was für einen Mann möchtest du gern?«, fragte Miles vorsichtig während einer Pause beim Treppensteigen.
    »Einen Offizier«, erklärte Bothari entschlossen.
    Miles lächelte. Aha, das ist also auch die Krönung deines Ehrgeizes, Sergeant! Dachte er insgeheim. »Aber ich nehme an, noch nicht sehr bald.«
    Bothari schnaubte. »Natürlich nicht. Sie ist erst …« Er brach ab. Die Falten zwischen den eng zusammenstehenden Augen vertieften sich. »Wie die Zeit vergeht …«
    Miles setzte mühsam einen Fuß vor den anderen und betrat das Haus der Vorkosigans. Jetzt stand ihm die Verwandtschaft bevor. Als erstes kam wohl seine Mutter. Kein Problem. Sie stand am Fuß der großen Freitreppe in der Eingangshalle, als ihm ein uniformierter Diener, der auch als Leibwächter diente, die Tür öffnete. Lady Vorkosigan war eine Frau in mittleren Jahren. Natürliches Grau dämpfte das leuchtend rote Feuer ihrer Haare. Bei ihrer Größe fielen die zusätzlichen Kilos nicht auf. Sie atmete heftig. Wahrscheinlich war sie die Treppe hinuntergelaufen, als sie ihn kommen sah. Mutter und Sohn umarmten sich schnell. Ihre Augen waren ernst und unparteiisch.
    »Ist Vater da?«, fragte Miles.
    »Nein. Er und Minister Quintillian sind unten im Hauptquartier und schlagen sich mit dem Generalstab wegen des Etats herum. Ich soll dir herzliche Grüße von ihm ausrichten und sagen, dass er versuchen wird, zum Mittagessen heimzukommen.«
    »Und hat er … äh … schon Großvater von gestern erzählt?«
    »Nein – aber ich finde, du hättest ihn das erledigen lassen sollen. Die Situation heute morgen war schrecklich peinlich.«
    »Das kann ich mir vorstellen.« Miles blickte die Treppe hinauf. Sie kam ihm nicht nur wegen der kaputten Beine irrsinnig hoch vor. Nun denn! Bringen
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