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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht
Autoren: Udo Scheu
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wünschen. Der Vater bestand aber darauf, dass sein Sohn ihn immer zuerst zu grüßen habe. Seitdem reden die beiden nichts mehr miteinander. Daraus ergab es sich, dass er als eine Art Kammerdiener und Privatberater zu uns gekommen ist.«
    »Köstlich, köstlich, lieber Freund. Eine derart amüsante Geschichte habe ich seit Jahren nicht mehr gehört. Bei dieser Gelegenheit will ich noch eine andere Frage loswerden. Wie Sie wissen, bin ich neugierig. Wie geht es eigentlich Ihrer reizenden Schwester? Ich habe sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.«
    Das Lächeln von Phillip Krawinckel gefror zu einer Maske.
    »Sie ist leider zurzeit unpässlich. Vielleicht beim nächsten Mal. Ich hoffe auf Ihr Verständnis, wenn ich mich jetzt noch einem anderen Gast zuwenden muss.«
    Nach kaum mehr als einer Stunde gab Kellermann Phillip Krawinckel ein Zeichen, dass auch der letzte Gast seine Mahlzeit beendet hatte. Krawinckel nahm Blickkontakt zu seiner Frau auf. Beide schlenderten die Stelltische entlang und verabschiedeten die Gäste. Wie bei einer Prozession geleitete Phillip den Zug zur Tür.
    Als eben der letzte Gast gegangen war, lächelte Phillip Krawinckel seiner Frau zu. »Ich gehe jetzt mein Schönheitsschläfchen machen.« Sie nickte ihm zu.
    Nachdem die Bediensteten den Esstisch wieder geordnet, das Büffet und das Geschirr abgeräumt und sich in den Küchenbereich zurückgezogen hatten, trat Kellermann von hinten an Krawinckels Frau Ellen heran, legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie zu sich. Sie versteifte Ihren Körper, fuhr herum und fixierte ihn mit maskenhaften Gesichtszügen. »Kannst du nicht wenigstens warten, bis wir sichergehen können, dass niemand mehr zurückkehrt, Michael? Phillip darf auf keinen Fall etwas merken. Und andere erst recht nicht. Du weißt, welch großen Wert er auf Formen und Etikette legt.«
    Kellermann biss die Zähne zusammen und zog seine Hand zurück. Ein dünnes Lächeln glitt über seine Lippen. »Spiel dich nicht so auf. Glaubst du, ich bin blind? Mir ist klar, was hier gespielt wird. Ihr könnt mir nichts vormachen. Keiner von euch. Seht euch vor!« Erneut schnellte sein Kopf kurz zur Seite. »Und lass endlich diesen altbackenen Namen Michael weg. Ich bestehe darauf, dass du mich Mike nennst.«

3. Kapitel
    »Frau Bruns. Hören Sie zu. Geben Sie mir bitte schnell mal Herrn Leise am Telefon. Dringend. Das kann ja nicht wahr sein, was mir da wieder vorgelegt worden ist. Ich muss ihn unbedingt sprechen. Wie Sie wissen, will ich in einer halben Stunde weg, um meine Frau abzuholen. Wir sind beim italienischen Generalkonsul zum Mittagessen eingeladen.«
    Herbert Hübsch, Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Frankfurt, saß mit aufgerollten Hemdsärmeln und heruntergelassener Krawatte in seinem großräumigen Büro auf einem schwarzen Ledersessel hinter dem mahagonifarbenen Schreibtisch, sog an seiner Pfeife und fluchte vor sich hin. Er schwitzte. Sein Hemd klebte ihm am Körper. An dem kräftigen Bauchvorsprung sperrte die Knopfleiste.
    Sekunden später klingelte das Telefon. Hübsch hob ab.
    »Hallo, Herr Leise. Gut, dass Frau Bruns Sie angetroffen hat. Ich hatte schon die Sorge, Sie seien praktizierender Katholik und kämen heute auf Allerheiligen erst nach dem Kirchgang oder überhaupt nicht.
    Hören Sie zu – vor mir liegt aufgeschlagen eine Akte von einem Ihrer Abteilungsmitglieder mit einem Gnadenbericht an das Justizministerium in Wiesbaden. Leider muss ich erneut feststellen, dass Sie mir derartige Vorgänge weitgehend ungeprüft zuleiten. Sie wissen, dass ich menschlich nichts auf Sie kommen lasse. Mir ist auch bekannt, dass Sie ehrenamtlich für die Arbeiterwohlfahrt tätig sind und deshalb nachmittags schon früh die Behörde verlassen. Das nehme ich auf meine Kappe und toleriere es. Es darf aber nicht zu Mehrarbeit für mich führen. Die wesentlichen Vorarbeiten haben Sie und die Staatsanwälte Ihrer Abteilung zu erbringen. Haben wir uns verstanden? Lassen Sie den Vorgang bitte sofort bei Frau Bruns abholen.«
    Hübsch legte auf, erhob sich, legte die Pfeife in den großflächigen Aschenbecher und zog die Gardine vor dem seinem Schreibtisch nächstgelegenen Fenster zurück. Er öffnete es einen Spalt, damit der Pfeifenqualm abzog, griff erneut zum Telefon und drückte die Verbindungstaste zu seinem Vorzimmer. »Ist Herr Schultz da? Dann schicken Sie ihn bitte umgehend herein. Wie Sie wissen, will ich in einer halben Stunde weg.«
    Kaum hatte Hübsch den Hörer mit
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