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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht
Autoren: Udo Scheu
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selbstsicherem Lächeln ging Ellen Krawinckel auf ihren Mann zu und gab ihm ein Küsschen. »Tut mir leid, Schatzi, dass es etwas später geworden ist. Ich bin aufgehalten worden. Alles hat ein bisschen länger gedauert, als ich geplant hatte.«
    »Kein Problem. Die meisten unserer Gäste sind eben erst eingetroffen. Ich hatte selbst Mühe pünktlich zu sein. Du glaubst nicht, wie nervig es heute Morgen in der Innenstadt war.«
    Ellen Krawinckel küsste ihn nochmals und ging dann nach und nach zur Begrüßung an die Stelltische. Sie genoss die verstohlen auf ihre Figur gerichteten Blicke der Männer sowie den unvollständig versteckten Neid der Damen. Wohin sie sich auch immer wandte, erfuhr sie die ungeteilte, überschwängliche Aufmerksamkeit der männlichen Gäste und erlebte deren überzogene Selbstdarstellungsversuche.
    Nach einigen Minuten trat Kellermann an Krawinckel heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Krawinckel nickte, kontrollierte mit raschem Blick den Lack seiner Fingernägel und wandte sich seinen Gästen zu. »Das Büffet ist eröffnet.«
    Als ein Teil der Anwesenden verstummte und sich schon auf den Weg zu der Selbstbedienungstafel machen wollte, klopfte der Minister mit einem rasch aus seiner Hosentasche gezogenen Schlüssel gegen sein Glas. »Im Namen von uns allen möchte ich dem Hausherrn für seine selbstlose Art danken, Menschen im wohlverstandenen übergeordneten Interesse zusammenzuführen.«
    Die Anwesenden applaudierten. Krawinckel strahlte vor sich hin. Er ließ nicht erkennen, wie dankbar er aufgrund früherer unguter Erfahrungen für die Kürze der Dankesworte des Ministers war.
    Nach und nach bewegten sich die Gäste mit gefüllten Tellern wieder vom Büffet auf die Stelltische zu. Im Anschluss daran setzte eine lebhafte Unterhaltung ein, teilweise in Zweiergesprächen, teilweise kreuz und quer über die Tische hinweg. Währenddessen reichten die Bediensteten immer wieder Getränke.
    Eine ältere, in Chanel gekleidete Dame, die von mehreren Männern umstanden war, kostete mehrfach in rascher Folge ein Stück Saiblingsfilet, das sie sich aus Angst vor Gräten in kleinen Bröckchen auf ihrem Teller verteilt hatte. Andächtig kaute sie länger darauf herum, als es die portionierten Happen hätten erwarten lassen. Schließlich verdrehte sie die Augen und ließ sich zu einem begeisterten Ausruf verführen.
    Während der gesamten Zeit stand Kellermann im Hintergrund und dirigierte wortlos mit Fingerzeichen das Personal. Zwischendurch suchten seine Augen Ellen Krawinckel. Dabei musterte er sie mehrmals mit einem distanzlosen Lächeln.
    Phillip Krawinckel hatte sich als Gesprächspartnerin eine ergraute angeheiratete Prinzessin ausgewählt, deren Falten sorgfältig mit Make-up geglättet waren. Sie beobachtete mit Wohlwollen die ordnende Hand Kellermanns und wandte sich dann Krawinckel zu. »Eine Perle, die Sie da haben, mein lieber Herr Krawinckel. Wenn ich Ihnen nicht so verbunden wäre, würde ich Ihnen diesen Herrn gerne abwerben. Er zeigt sich so geschickt in seinen Aufgaben.«
    Krawinckel lächelte. »Es gibt kaum etwas, was ich Ihnen abschlagen könnte, Hoheit. Wenn ich in diesem Falle Ihrem Ansinnen folgen würde, stünde mir allerdings erheblicher Ärger mit meiner lieben Frau ins Haus. Sie hat ihn vor einiger Zeit beim Ausführen unserer Hunde zufällig getroffen, als er ebenfalls mit seinem Hund spazieren ging. Dabei ist sie mit ihm ins Gespräch gekommen. Er ist eigentlich von Beruf Jurist. Das sollte man kaum glauben. Er hat mit seinen fast vierzig Jahren allerdings nie in diesem Beruf gearbeitet. Angeblich musste er es nicht, da seine Eltern ein ausreichendes Einkommen hatten und ihm ein eigenes Reihenhäuschen überlassen haben. Es steht fast immer leer, da er überwiegend hier wohnt. Ihm fehlt der Geschäftssinn, es zu vermieten. Als meine Frau mit ihm sprach, war er gerade mit seinen Eltern wegen einer kuriosen Geschichte uneins geworden und benötigte deshalb Geld aus eigenen Einkünften. Darf ich sie Ihnen erzählen?«
    Die Prinzessin senkte fast unmerkbar den Kopf. »Selbstverständlich, lieber Freund. Ich brenne darauf.«
    »Dann ist mir Ihr Wunsch Befehl. Die Geschichte trug sich so zu: Kellermann frühstückte jeden Morgen mit seinen Eltern in deren benachbartem Reihenhäuschen, fast immer zur selben Zeit. Eines Tages kam er früher zum Frühstückstisch als sein Vater. Als der schließlich hinzukam, erwartete Kellermann, sein Vater werde ihm zuerst einen guten Morgen
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