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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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Passion?
    Babette rasselte runter: »Das ist aus der Bibel. Die Bibel kennst du doch?«
    Ich nickte. Ich kenne die Bibel nicht, aber ich weiß, dass es sie gibt. Das ist doch schon mal was, oder?
    »Dort wird die Geschichte von Jesus erzählt, klar?«
    Ich nickte wieder. »Jesus« hatte ich schon mal gehört. Ich meine, den Namen. Aber sehr viel mehr konnte ich damit nicht anfangen. Klar, das war ein Typ mit langen Haaren. Langsam tauchten bei mir doch ein paar weitere Zusammenhänge auf. Der hatte irgendwas mit der Kirche zu tun. In Ethik hatten wir schon mal über diesen Jesus geredet. Aber ich wusste echt nicht mehr, was genau. Ich gehe natürlich wie alle in Ethik. In meiner Klassenstufe sind im Religionsunterricht bloß sechs faule Jungs. Die hängen da ab. So heißt es jedenfalls. Andererseits habe ich mich schon manchmal gewundert, wie gern die da hingehen.
    Babette redete weiter. Fast hätte ich den Anschluss verpasst. »Jesus wird hingerichtet, vorher gefoltert und so. Das ist die Passionsgeschichte. Und Bach hat die vertont.«
    »Danke«, sagte ich und meinte es. Hoffentlich vergesse ich das nicht. Da fiel mir noch was ein: »Hast du die vielleicht? Die Passion. Du weißt schon?«
    »Es gibt verschiedene davon, zum Beispiel auch eine, die heißt Matthäuspassion. Aber die ist sehr lang. Ich habe nur die Johannes.«
    »Kannst du sie mir borgen?« Fieser Trick – borgen – dann brennen – dann zurückgeben. Machen alle so. Ist Raub, sagt meine Mutter. Stimmt, aber ich konnte nie im Leben eine CD mit einer ganzen Passion kaufen und dann hat Carsten sie vielleicht schon.
    »Kann ich, ich bring sie dir morgen mit. Aber ich will sie bald wieder zurück.«
    »Woher weißt du das eigentlich alles?«, fragte ich sie dann noch.
    »Ich will später was mit Musik machen. Am liebsten würde ich Musik studieren, aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Jedenfalls muss man das wissen, wenn man sich mit Musik beschäftigt. Musik kann man nicht verstehen, wenn man nicht was vom Christentum weiß.«
    Das konnte ich nicht glauben. Ich liebe Rosenstolz und kenne jedes Lied von denen aus dem Kopf, und ich habe noch nie gemerkt, dass mir irgendwelche Infos fehlen. Wenn ich das zu Babette gesagt hätte, dann hätte sie garantiert völlig verständnislos geguckt. Sie hört wahrscheinlich niemals Rosenstolz, immer nur solche ernsten Sachen. Da kann man nichts machen.
    Ich ließ das lieber und fragte sie was anderes: »Warst du schon mal in einem Gottesdienst?«
    »Ja, zu einer Trauung. Meine Cousine hat kirchlich geheiratet. Das war sehr schön. Aber sonst noch nie. Außer natürlich in der Thomaskirche zur Motette.«
    O ja, natürlich, wie konnte ich das vergessen. Ich schlich mich auf Samtpfoten davon.
    Jetzt habe ich die CD und kann sie nicht brennen. Ich habe es ja schon gesagt, ich bin zu blöd. Und meine Mutter hat wieder keine Zeit, sie stillt Maria. Ich merke das daran, dass eine ganz intensive Ruhe aus dem Zimmer kommt. Ich gehe hinein, setze mich auf einen Stuhl und sehe zu. Ich mache das gern. Die volle Brust meiner Mutter ist mit kräftigen Adern durchzogen. Das gruselt mich.
    Sie kann Gedanken lesen. »Das geht wieder weg«, sagt sie.
    Maria hat ihr Händchen auf Mamis Brust gelegt. Sie schnauft beim Trinken.
    »Das sieht sehr schön aus, ihr beide«, sage ich.
    »Ja. Und es ist auch schön.« Sie streicht Maria über die Wange, worauf sich Maria noch gieriger festsaugt.
    »Kann ich dich was fragen?«
    »Klar.«
    »Wann zeigst du mir das CD-Brennen?«
    Meine Mutter guckt hoch und lächelt mich an. »Ach ja, das habe ich ganz vergessen. Das machen wir gleich, sobald sie schläft. Sieh, ihre Augen fallen schon zu.«
    So komme ich zu meinem ersten Weihnachtsgeschenk. Den Rohling konnte ich aus der Schachtel nehmen, die im Schreibtisch unter dem Computer steht.

4
    Die Sensation des Jahres tritt ein. Meine Mutter geht zu Weihnachten mit Carsten in die kleine Kirche bei uns um die Ecke. Mella und ich bleiben natürlich zu Hause. Wir spielen mit Maria. Sie liegt auf dem Boden in unserem Zimmer. Von unten wärmt sie ein Schaffell. Sie beißt auf ihrem Plüschhasen herum. Der Hase ist hellblau und schon ganz nass. Sie sabbert und brabbelt. Mella hat sich neben sie gelegt und stupst sie immer wieder in die Seite. Maria lacht.
    »Verstehst du, warum Mami mit in die Kirche geht?«, fragt Mella mich plötzlich.
    Ich gucke von meinem Buch hoch. Ich habe mir in der Schulbibliothek ein Jugendbuch über Johann Sebastian Bach
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