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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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geliehen. Dass Babette alles besser weiß, kann ich nicht ändern, aber ein bisschen aufholen könnte ich schon, dachte ich. Und das ist wirklich eine Entdeckung, über Bach und seine Zeit zu lesen. Sympathisch ist er nicht, finde ich. Aber es ist trotzdem spannend und schließlich geht es um Leipzig vor ungefähr 260 Jahren. Und jetzt lebe ich hier!
    Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass damals nur achtzehn Knaben zum Thomaner-Chor gehörten? Oder dass der berühmte Kantor seinen Söhnen eine Ausbildung ermöglichte, seine Töchter aber nur fürs Notenkopieren anstellte?
    Außerdem gehörten die weißen Locken, die Bach auf den meisten Bildern trägt, zu einer Perücke, und die wurde gepudert. Statt sich mit Wasser zu waschen, benutzte man Puder. Der rieselte dann überall runter, weshalb man auf alten Bildern oft Menschen mit großen Kragen sieht. Dort konnte der Puder drauffallen. Wenn man dann den Kragen, der nur festgeknöpft war, wechselte, konnte man das weiße Zeug abschütteln. Das finde ich irgendwie unappetitlich. Überhaupt muss es ganz schön dreckig zugegangen sein. Das muss gerochen haben!
    Es verblüfft mich auch, wie wichtig damals die Kirche war. Da wurden ohne Ausnahme alle getauft. Das ist irgendwie verrückt, jedenfalls im Vergleich mit unserer Zeit. Da hat sich allerhand geändert. Nicht nur die Zahl der Sängerknaben, denn jetzt sind es fast hundert Jungs, die zum Chor gehören.
    Ich kriege allerdings nicht raus, warum die Kinder getauft wurden. Da steht nur, dass wenige Tage nach der Geburt der Säugling zur Taufe gebracht wurde, aber mehr ist nicht zu erfahren. Und Kinder haben die am laufenden Band gekriegt. Eins nach dem anderen. Vielleicht haben sie gedacht, dass die Taufe die Babys schützen könnte? Sehr viele Kinder sind nämlich früh gestorben. Das ist gruselig. Ich muss an Maria denken und daran, wie sehr meine Mutter sich auf sie gefreut hat und wie wertvoll sie ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn eine Familie so viele Kinder hat und fast alle sterben, wenn sie noch ganz klein sind.
    Das Buch gefällt mir, weil es so viel von der Zeit erzählt. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das interessieren könnte. Aber ich bin eben auch entwicklungsfähig, nicht nur Maria. Aber warum fällt mir dann die Lernerei in der Schule so schwer? Dabei ist es irgendwie echt interessant, wenn sich das Gehirn langsam mit klugen Sachen füllt. Man fühlt sich wichtig, als könnte man die ganze Welt verstehen, man muss nur das richtige Buch lesen. Ich begreife mich selbst nicht, denn in der Schule komme ich mir wie Falschgeld vor, ganz seltsam. Ich bin bis heute nicht richtig an die Leute aus meiner Klasse range-kommen. Klar haben wir ganz normale Kontakte und eigentlich sind die meisten nett zu mir. Aber wenn ich dann ein Mädchen wie Babette solche simplen Sachen fragen muss, könnte ich im Boden versinken, obwohl sie mir ja ganz einfach geholfen hat. Na ja, ich stehe eben mehr auf Rosenstolz als auf Bach. Daran ändert auch mein neues Interesse am historischen Leipzig nichts.
    »Carsten zuliebe«, sage ich.
    »Da ist mehr dahinter.« Mella dreht sich auf den Rücken und setzt sich auf. »Sie wird doch hoffentlich nicht auch so ›heilig‹.«
    »Niemals! Unsere Mutter ist Naturwissenschaftlerin. Solche Menschen sind nicht ›heilig‹«, werfe ich genervt ein und versuche, Mella abzuwimmeln. »Wir können sie ja nachher fragen.« Ich will weiterlesen.
    »Dann gibt es bloß wieder Streit. Ich kann das nicht verstehen. Das ist doch Beschiss, mit in die Kirche zu gehen, wenn man gar nicht daran glaubt. Als wäre das ein Theater oder so was. Dabei müssen es die Leute dort doch eigentlich ziemlich ernst meinen, wenn man bedenkt, dass die an so was wie einen Gott glauben, obwohl der weder zu sehen noch sonst irgendwie spürbar oder beweisbar ist. Ich kann das nicht verstehen. Völlig rätselhaft ist mir das. Wie kann unsere kluge Mama so einen Mist machen? Sie lügt Carsten was vor, sich selbst und Carsten! Jawohl! Anders kann ich es mir nicht erklären.« Mella lässt nicht locker. Sie schnauft entrüstet und schüttelt ihren Kopf.
    »Aber zu Weihnachten gehen ziemlich viele Leute in die Kirche. Ob die alle daran glauben?«, werfe ich ein und lass mich von Mella nun doch in ein Gespräch verwickeln.
    »Die gehen hin, weil’s gemütlich ist, sagt jedenfalls Tom. Seine Familie trabt heute auch geschlossen zum Gottesdienst. Das ist doch so verlogen!« Sie redet sich richtig in Rage.
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