Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne
Autoren: Wilson Tucker
Vom Netzwerk:
Das Genie kann durch ein kleines Teleskop sehen und die Zukunft beobachten?«
    »Die Ingenieure bei Westinghouse haben ein ZVF gebaut, Sir«, antwortete die Frau gelassen. »Es wird jetzt getestet.«
    »Nie davon gehört.« Chaney legte eine Hand über die Augen, um die Jacht besser sehen zu können. »F heißt Fahrzeug, was? Immerhin besser als ein kleines Teleskop. Und was bedeutet ZV?«
    »Zeitverschiebung. Ein technischer Fachausdruck.« Ihre Stimme klang eigenartig zufrieden.
    Brian Chaneys Hand sank herab. Er drehte sich langsam um und starrte die Frau an. Er fühlte sich wie nach einem Magenhaken.
    » Zeit verschiebungsfahrzeug?«
    »Ja, Sir.« Ihre Zufriedenheit steigerte sich zu Triumph.
    »Das kann nicht funktionieren!«
    »Das Fahrzeug befindet sich in der Erprobung.«
    »Unmöglich!«
    »Sie können es selbst besichtigen, Sir.«
    »Bei Ihnen? In Ihrem Laboratorium?«
    »Ja, Sir.«
    »In Betrieb?«
    »Ja, Sir.«
    »Der Teufel soll mich holen! Was wollen Sie damit anfangen?«
    »Es dient unserem neuen Programm, Mr. Chaney. Der Indic-Bericht hat uns einige Richtlinien für die Erforschung der Zukunft geliefert. Jetzt soll die zweite Phase beginnen: die Anwendung in der Praxis. Erkennen Sie die Möglichkeiten, die darin stecken, Sir?«
    »Sie wollen in dieses Ding, dieses Fahrzeug klettern und irgendwohin reisen? In die Zukunft?«
    »Nein, Sir. Das werden Sie tun; Sie und das Team.«
    Chaney war entsetzt. »Unsinn! Das Team kann tun, was ihm Spaß macht, aber ich bleibe hier. Ich habe mich nicht freiwillig gemeldet, bin aus humanitären Gründen gegen die Leibeigenschaft und will nichts mit Ihrem Projekt zu schaffen haben!« Er ließ sich in den Liegestuhl fallen.
    ZVF – ein gewaltiges Stimulans für die Phantasie.
    Brian Chaney sah die Möglichkeiten – zumindest einige von ihnen – und konnte sich vorstellen, mit welchem Interesse die Leute, die das ZVF besaßen, seinen Indic-Bericht gelesen hatten. Wissenschaftler konnten einen Sprung in die Zukunft machen und ihre Theorien, ihre Vorhersagen kommender Ereignisse überprüfen. Würden Vierzehnjährige heiraten und wählen dürfen? Würde die Selbstverwaltung der Städte durch staatliche Kontrolle ersetzt werden? Würde der Komplex an der Ostküste Amerikas auseinanderbrechen und unbewohnbar werden?
    ZVF – ein Mittel, um Fragen zu beantworten.
    »Das interessiert mich alles nicht«, sagte Chaney laut. »Suchen Sie sich einen anderen Demographen, Miss van Hise. Ich habe etwas dagegen, überfallen und in die Sklaverei verkauft zu werden.«
    Mit Hilfe des ZVF konnten Wissenschaftler sich persönlich davon überzeugen, ob die Großen Seen gerettet worden waren – oder ob das Sanierungsprogramm zu spät gekommen war. Sie konnten die Volkszählungen der nächsten hundert Jahre auswerten, sie mit den gegenwärtigen Vorausberechnungen vergleichen und deren Wahrheitsgehalt feststellen. Sie konnten untersuchen, wie sich die kürzlich eingeführte Ehe auf Probe bewährt hatte – und ob sie die Geburtenziffer verändert hatte. Sie konnten …
    »Grüßen Sie das Team von mir, Miss van Hise«, forderte Chaney sie auf. »Es soll schön vorsichtig sein. Ich lese seine Abenteuer dann in der Zeitung.«
    Kathryn van Hise war bereits gegangen.
    Chaney sah ihre Fußspuren im Sand. Er hob den Kopf und beobachtete, wie sie sich im Gras am Straßenrand die Schuhe anzog. Ihr Dreieckshöschen straffte sich, als sie sich dabei bückte. Auf der Straße fuhr der Postjeep in entgegengesetzter Richtung vorbei.
    Chaney spürte das Gewicht des Buchs auf seinen Knien. Er hatte nicht einmal gemerkt, daß die Frau es dorthin gelegt hatte. Auf dem hellroten Schutzumschlag stand der vertraute Titel: ›Aus den Qumran-Höhlen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.‹ Darunter war der Verfasser angegeben: ›Dr. Brian Chaney.‹ Der rote Umschlag war eine Erfindung der Werbeabteilung, die sich davon einen Verkaufserfolg versprach. Chaney fand ihn scheußlich. Trotz sorgfältiger Erläuterungen hatte seine Übersetzung einer Schriftrolle zweifelhaften Ursprungs wesentlich mehr Staub als erwartet aufgewirbelt. Hängt den Gotteslästerer auf!
    Eine kleine Karte ragte aus dem Buch.
    Chaney schlug es neugierig auf und fand eine Visitenkarte mit dem Namen der Frau. Auf die Rückseite hatte sie die Adresse eines Laboratoriums in Illinois geschrieben. Die zehn Fünfzigdollarscheine zwischen den Seiten sollten vermutlich Chaneys Reisespesen decken.
    »Ich fahre aber nicht!« rief er der Frau nach.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher