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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut
Autoren: Margaret Atwood
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mit ihr paaren können.«
    Das muss Amanda gewesen sein, denke ich. Also ist sie noch am Leben, sie haben sie noch nicht umgebracht. Mach schnell!, will ich rufen. Aber Toby rührt sich noch immer nicht vom Fleck.
    »Wir wollten, dass sie sich aussucht, mit welchem von uns vier Männern sie kopulieren möchte«, sagt der Wortführer. »Vielleicht möchte es die Frau, die du mitgebracht hast. Ihr Geruch ist sehr blau!« Da lächeln sämtliche Männer − sie haben funkelnd weiße Zähne; ihre Penisse sind auf mich gerichtet, und sie wedeln damit wie Hunde.
    Vier Männer? Alle auf einmal? Ich will nicht, dass Toby einen dieser Männer erschießt − sie wirken so friedlich, und sie sehen sehr gut aus, aber diese blau leuchtenden Penisse will ich auf keinen Fall in meiner Nähe haben.
    »Meine Freundin hier ist nicht wirklich blau«, sagt Toby. »Das ist nur ihre zweite Haut. Sie hat sie von einem blauen Menschen geschenkt bekommen. Deswegen riecht sie so blau. Wohin sind sie gegangen? Die beiden Männer und die blaue Frau?«
    »Sie sind am Strand entlanggegangen«, sagt der Wortführer. »Und heute Morgen ist Schneemensch los, um sie zu suchen.«
    »Wir könnten ihr unter die zweite Haut schauen, um zu sehen, wie blau sie ist.«
    »Schneemensch hat sich den Fuß verletzt. Wir haben ihn angeschnurrt, aber er muss noch länger angeschnurrt werden.«
    »Wenn Schneemensch hier wäre, würde er herausfinden, wie blau sie ist. Er würde uns sagen, was wir tun sollen.«
    »Blau soll man nutzen. Blau ist eine Gabe von Crake.«
    »Wir wollten ihn begleiten. Aber wir durften nicht und mussten hierbleiben.«
    »Schneemensch weiß Bescheid«, sagt eine der Frauen. Bis jetzt haben sich die Frauen noch gar nicht am Gespräch beteiligt, aber jetzt nicken alle und lächeln.
    »Jetzt müssen wir gehen und Schneemensch helfen«, sagt Toby. »Er ist unser Freund.«
    »Wir begleiten dich«, sagt ein anderer Mann − ein kleinerer mit gelber Haut und grünen Augen. »Wir wollen Schneemensch auch helfen.« Jetzt fällt mir auf, dass sie alle grüne Augen haben. Sie riechen nach Zitrusfrüchten.
    »Schneemensch braucht oft unsere Hilfe«, sagt der große Mann. »Sein Geruchssinn ist schwach. Er kann nicht gut riechen. Und diesmal ist er krank. Er hat einen kranken Fuß. Er hinkt.«
    »Wenn Schneemensch euch befohlen hat hierzubleiben, dann müsst ihr hierbleiben«, sagt Toby. Sie tauschen Blicke aus: Irgendetwas macht ihnen Sorgen.
    »Wir bleiben hier«, sagt der große Mann. »Aber du musst bald wiederkommen.«
    »Und Schneemensch mitbringen«, sagt eine der Frauen. »Damit wir ihm helfen können. Dann kann er wieder auf seinem Baum leben.«
    »Und wir können ihm seinen Fisch geben. Ein Fisch macht ihn glücklich.«
    »Er isst den Fisch«, sagt eines der Kinder und verzieht das Gesicht. »Er kaut ihn. Er schluckt ihn runter. Crake hat gesagt, er muss das machen.«
    »Crake wohnt im Himmel. Er liebt uns«, sagt eine kleine Frau. Anscheinend halten sie Crake für Gott. Glenn als Gott im schwarzen T-Shirt − ziemlich lustig, wenn man bedenkt, wie er in Wirklichkeit war. Aber ich lache nicht.
    »Wir können dir auch einen Fisch geben«, sagt die Frau. »Möchtest du einen Fisch haben?«
    »Ja, bring Schneemensch zu uns«, sagt der große Mann. »Dann fangen wir zwei Fische. Drei Fische. Einen für dich, einen für Schneemensch, einen für die Frau mit dem blauen Geruch.«
    »Wir tun unser Bestes«, sagt Toby.
    Das scheint ihn zu verwirren. »Was ist das, ›Bestes‹?«, fragt der Mann.
    *
    Wir kommen aus dem Wald und stehen plötzlich mitten in der grellen Sonne, und wir hören Meeresrauschen und gehen über den weichen trockenen Sand, bis wir zu dem festen feuchten Streifen am Rand des Wassers kommen. Das Wasser kommt und zieht sich mit sanftem Zischen zurück wie die Atemzüge einer großen Schlange. Der Strand ist mit glänzendem Abfall übersät: Plastik, leere Dosen, Glasscherben.
    »Ich hab schon gedacht, die fallen über mich her«, sage ich.
    »Sie haben dich gerochen«, sagt Toby. »Sie riechen die Östrogene. Sie haben gedacht, du wärst paarungsbereit. Sie paaren sich nur, wenn sie blau werden. Wie bei den Pavianen.«
    »Woher weißt du das alles?«, frage ich. Croze hatte mir von den blauen Penissen erzählt, aber nicht von den Östrogenen.
    »Von Elfenbeinspecht«, sagt Toby. »Die MaddAddams waren an der Entwicklung dieser Funktion beteiligt. Es sollte das Leben vereinfachen. Die Partnerwahl vereinfachen. Die Qualen der
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