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Das Jagdgewehr

Das Jagdgewehr

Titel: Das Jagdgewehr
Autoren: Yasushi Inoue
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Opfergabe, eines für Dich, eines für mich und das letzte für sich selber, da fand ich, daß Midori am allermeisten zu bedauern war. Und so brach ich erneut in Schluchzen aus.
    In der Nacht weinte ich noch einmal. Ich war nebenan schlafen gegangen, weil Du und Midori mir wegen des anstrengenden Tages, der uns bevorstand, das geraten hattet. Ich fiel sofort in Schlaf, aber ich wachte, über und über schweißgebadet, bald wieder auf. Ich schaute auf die Uhr, die auf der Etagère stand: es war nicht mehr als eine Stunde vergangen. In dem Raum neben mir, wo der Sarg war und Ihr beide Euch aufhieltet, herrschte die gleiche Ruhe wie vorher. Das einzige Geräusch entstand, wenn Du dann und wann Dein Feuerzeug gebrauchtest. So verging eine halbe Stunde. Da hörte ich Dich sagen:
    »Willst du dich etwas ausruhen, Midori? Ich bleibe auf.«
    »Nein, danke. Schlafe du ein wenig«! Ich vernahm diese kurze Unterhaltung zwischen Euch beiden, dann fiel alles wieder in die alte Stille, die fortan auch nicht mehr gestört wurde. Unter der Decke weinte ich bitterlich ein drittes Mal. Du hättest mich auf keinen Fall hören können. Ich weinte, weil mir alles furchtbar und jammervoll erschien. Ihr – Mama, die nun schon zu Buddha geworden war, Du und Midori – waret nun in einem und demselben Raum. Jeder von Euch beiden hatte wohl so seine Gedanken, aber er sprach mit keinem Wort davon. Als ich darüber nachsann, kam mir die Welt der Erwachsenen unerträglich einsam vor.
    Lieber Onkel Josuke!
    Ich habe hier zusammenhanglos alles mögliche zusammengeschrieben. Ich wollte Dir meinen augenblicklichen Gemütszustand genau schildern, weil ich Dich nun um Deine Zustimmung für etwas bitten will.
    Es handelt sich nur um folgendes. Ich möchte Dich und Midori nie wieder sehen. Ich kann Dich nicht so wie bisher, als ich das Tagebuch von Mama noch nicht gelesen hatte, wie ein kleines Mädchen umschmeicheln, und ich will auch bei Midori nicht mehr kindlich eigensinnig meinen Willen durchsetzen. Ich möchte aus der furchtbaren Verworrenheit des Wortes Verbrechen, das Mama getötet hat, endlich herauskommen. Es fehlt mir an Kraft, Dir mehr als dies zu sagen.
    Die Sorge für das Haus in Ashiya übertrage ich Herrn Tsumura, einem meiner Verwandten. Ich selber will mich für einige Zeit nach Akashi zurückziehen und meinen Lebensunterhalt durch ein kleines Geschäft für europäische Moden verdienen. Mama hat mir als letzten Willen aufgetragen, immer alles mit Dir zu besprechen, aber sie hätte mir das nicht befohlen, wenn sie ihre Tochter so sähe, wie sie jetzt ist.
    Ich verbrannte Mamas Tagebuch heute im Garten. Das große Kollegheft hat sich in eine Handvoll Asche verwandelt, und ein kleiner Wirbelwind wehte sie, während ich einen Eimer holen ging, um Wasser daraufzugießen, mit den vergilbten Blättern fort.
    Mit gleicher Post übersende ich Dir einen Brief, den Mama Dir geschrieben hat. Ich entdeckte ihn, nachdem Du schon nach Tokyo abgefahren warst, beim Aufräumen auf ihrem Tisch.

Midoris Brief
    Herr Josuke Misugi!
    Bei dieser förmlichen Anrede fühle ich, wie trotz meines Alters (ich bin zwar erst dreiunddreißig) mein Herz laut vor Erregung pocht, als schriebe ich einen Liebesbrief. Ich habe in den vergangenen Jahren viele solcher Briefe verfaßt. Oft ahnten Sie nichts davon, oft tat ich es aber ganz offen. Doch wie war es nur möglich, daß auch nicht einer an Sie gerichtet war? Ich scherze jetzt nicht, sondern meine es ganz ernst; finden Sie das nicht auch seltsam?
    Frau Takigi (Sie kennen sie! Ich meine die Dame, die, wenn sie sich zurechtgemacht hat, wie ein Fuchs aussieht!) urteilte einmal in einer Gesellschaft über den Charakter der prominenten Persönlichkeiten von Osaka und Kobe, und sie sagte dabei, recht wenig schmeichelhaft, von Ihnen, Sie seien für Frauen uninteressant. Sie verstünden nichts von der feinen und komplizierten Psyche der Frauen, und selbst wenn Sie sich einmal verlieben sollten, würde doch Ihre Partnerin Sie unmöglich das ganze Leben hindurch lieben können. Natürlich tat sie diesen bissigen Ausspruch, als sie bereits zu viel Wein getrunken hatte, und so brauchen Sie ihn nicht allzu ernst zu nehmen, aber – Sie sind wirklich so! Sie haben vor allem überhaupt keine Ahnung, was Einsamkeit ist! Sie litten niemals unter Einsamkeit! Manchmal sehen Sie zwar gelangweilt aus, doch Ihr Gesicht zeigt nie auch nur einen Anflug von Einsamkeit und Trauer. In jeder Lebenslage sind die Lösungen, die Sie treffen,
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