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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum
Autoren: Hermann Kant
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zwischen einem der abgeschilderten Kurfürsten und dem neben ihm sitzenden Schreiber: »Du bist ja auch so ’n Dünner. Ich bin auch so ’n Dünner. Waren sie bei euch alle so dünn? Bei uns waren sie alle so dünn.«
    Während der Jüngere noch mit der Ehre solcher Gemeinsamkeit und dem Thema zurechtzukommen suchte, schickte Ludwig Renn einen kontrollierenden Blick in die Vergangenheit und ergänzte dann: »Das heißt, warte mal, im siebzehnten Jahrhundert hatten wir mal einen, das war mehr so ein Dicker.«
    Im siebzehnten Jahrhundert – also zweihundertfünfzig bis dreihundertfünfzig Sommer und Winter zurück –, da hatten die mal einen, der mehr so ein Dicker war, einen dicken zwischen lauter dünnen Golßenaus, einen einzigen, der sich stämmiger ausnahm in einer Legion von aufgeschossenen Kämmerern, Mundschenken, Fahnenjunkern, Generälen und Kadetten, einen einzigen, der eines der ungezählten Holzgevierte im Barock-, Rokoko-, Biedermeier- und Jugendstil auf natürliche Weise ausfüllte, einen einzigen solchen hatten die gehabt, dreihundert Jahre zurück, aber sie wußten es.
    Unsereins hatte spätestens mit dem Urgroßvater Schwierigkeiten: War das nun der Töpfer oder der Scherenschleifer gewesen, war er aus Nürnberg nach Holstein eingewandert, oder war das der aus dem Heidedorf? Manchmal, wenn nicht allzu viele äußere Unruhen allzuviel häusliche Unordnung gebracht und allzu viele Fluchten eiligen Aufbruch und leichtes Gepäck gefordert hatten, manchmal dann fand sich bei unsereins noch ein nach der verfeinerten Technik des Herrn Daguerre belichtetes Stück Pappe, einen steifen Mann mit Schnauzbart und eine meist viel kleinere Frau in steiferBluse zeigend und umseitig die in steifer deutscher Schreibschrift gefertigte Mitteilung enthaltend, es handle sich bei den nun wiederum umseitig abgebildeten Personen um den Christoph Groth nebst seiner Ehefrau Friederike, geborene Stellmacher, festgehalten vom Lichtbildner Murza anläßlich der heilen Rückkunft des Erstgenannten aus der großen Schlacht bei Sedan im Kaiserjahr achtzehneinundsiebzig.
    Manchmal gab unsereinem eine Urkunde Bescheid, daß ein Mann namens Gottfried Groth im Lauenburgischen zehn Acker Land erworben habe, ein Ludwig Groth zu Lehrte das Sargmachen erlernt, ein Gotthelf Groth es bei den Grenadieren zum Gefreiten gebracht, ein anderer Gotthelf Groth die Mathilde Nehls geehelicht und ein Fürchtegott, ausgerechnet Fürchtegott, Groth wegen Teilnahme an aufrührerischer und bewaffneter Zusammenrottung mittels polizeilichen Aushangs gesucht worden sei.
    Manchmal, und bestimmt sogar, wenn man mit Vornamen David hieß und im Frühling nach dem Reichstagsbrand zur Schule gekommen war, hatte man noch einen Überblick über drei rückwärtige Generationen, aber die Kenntnis verblaßte wie das Licht im Quadrat der Entfernung, und jenseits der Öllampengrenze herrschte undurchdringliches Dunkel.
    Die Groths und das siebzehnte Jahrhundert, das war so klar wie die Beziehungen der Groths zu Oliver Cromwell, Henry Purcell und Blaise Pascal; so kühn war keine Phantasie, daß sie da Stege geschlagen hätte. Selbst die Vorstellung, ein damaliger Groth hätte vom Dasein wenigstens der deutschen Größen seiner Zeit einen Ahnungsschimmer gehabt, hatte einen Zug ins Wilde. Leibniz hatte mit seinen Monaden zu tun, und da blieb ihm keine Zeit für die Groths, und die hatten mit dem Leben zu tun, mit dem Am-Leben-Bleiben, und da blieb keine Zeit für Herrn Leibniz.
    Vielleicht sangen sie einmal ein frommes Lied von Herrn Gryphius, vielleicht. Vielleicht hatten sie einen Schulmeister von den Gegenwartsromanen des Herrn Grimmelshausen sagen hören, vielleicht. Vielleicht hat ein poesieanfälligerGroth seine müden Vettern mit den Sinngedichten des Herrn von Logau geplagt, vielleicht, aber wahrscheinlich ist das alles nicht.
    Wahrscheinlich ist nur, daß auch die Groths, viele von ihnen, in den Fluten des Dreißigjährigen Krieges ersoffen sind; das vor allem wird ihr siebzehntes Jahrhundert gewesen sein.
    Ganz sicher sind Groths, wo nicht an Blattern, so an Religion und was dafür galt, gestorben, am Weißen Berg, an der Elbbrücke bei Dessau, vor Stralsund und bei Wittstock an der Dosse. Dazu nun wieder gehört kaum Einbildungskraft: den Ruf einer Elisabeth Groth zu hören, mit dem sie die Kinder von der Dorfstraße bringt, weil die Mansfeldischen kommen; einen sächsischen Groth schreien zu hören, weil ihm die Pike eines braunschweigischen Groth gerade die
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