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Das Hotel (German Edition)

Das Hotel (German Edition)

Titel: Das Hotel (German Edition)
Autoren: Susanna Calaverno
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erwartungsvolles Gesicht ähnelte dem eines Kindes, das auf eine Gutenachtgeschichte wartet.
    «Ihr wisst ja, dass ich aus Petersburg stamme», begann Mascha zögernd. «In der Schule war ich immer gut in Sprachen, deshalb meinte mein Vater, ich sollte Dolmetscherin werden. Dann würde ich vielleicht einen deutschen Geschäftsmann kennenlernen und ihn heiraten, und alle wären versorgt. So dachte er, und so dachten auch alle anderen. Ich war dazu ausersehen, der Familie einen reichen Schwiegersohn zu verschaffen, den man melken konnte. Meine Mutter trug ihre Kleider, bis sie auseinanderfielen, nur damit ich immer nach dem letzten Schrei gekleidet sein konnte. Keinesfalls durfte man auch nur erahnen, wie ärmlich es bei uns zu Hause zuging. Wie sagt ihr hier: Mit Speck fängt man Mäuse, nicht wahr?»
    «Und? Hat’s geklappt?» Jenny rutschte hin und her, um eine bequemere Stellung zu finden.
    Mascha schüttelte langsam den Kopf. «Nein, natürlich nicht. Irgendwie funktionierte die Methode nicht. Die guten Dolmetscherstellen gingen alle unter der Hand weg. In Russland ist das noch schlimmer als hier. Jeder, der etwas zu entscheiden hatte, hatte jemanden, der ihm näherstand als ich.»
    «Und über das Arbeitsamt?», wandte Veronika ein.
    Mascha warf ihr einen mitleidigen Blick zu. «Hast du es schon einmal über das Arbeitsamt probiert? Da bieten sie dir keine anständigen Stellen an. Hier nicht und dort nicht.»
    «Also bist du zu einer Agentur gegangen …», meinte Jenny.
    «Nicht gleich.» Mascha errötete leicht. «Vorher habe ich es als Fremdenführerin probiert. Aber das war nicht das Richtige.»
    Jenny sah sie fragend an. «Und wieso nicht? Da hättest du doch jede Menge reicher Männer treffen müssen.»
    «Gerade nicht! Die offiziellen Fremdenführer werden nur von Reisegruppen gebucht. Reiche Männer lassen sich jemanden von einem Begleitservice kommen. Da ist auch noch so einiges mehr im Angebot, was uns offiziellen streng verboten war.»
    «Nicht gerade die geeignetste Umgebung, um nach einer Ehefrau zu suchen», bemerkte Veronika eine Spur süffisant.
    «Genau!», gab Mascha ihr recht. «Das dachte ich auch. Mir erschien es geradezu wie ein Wink des Himmels, als ich eine ehemalige Mitschülerin traf und sie mir von dieser Ehevermittlung erzählte. Alles klang absolut vertrauenswürdig: Wenn man bereit war, einen Ausländer zu heiraten, wurde eine Akte angelegt und ein Video gemacht. Wollte einer von den Männern sich mit einem treffen, dann durfte man sich sein Video anschauen.»
    «Was waren das für Männer? Wie sahen sie aus?» Jenny gähnte ungeniert. «Komische Typen müssen das sein, die andere ihre Frauen aussuchen lassen!»
    «Ich könnte nicht sagen, dass sie sich in irgendetwas von den Männern, denen man täglich auf der Straße begegnet, unterschieden haben!», sagte Mascha nachdenklich. «Seitdem frage ich mich auch, was sich hinter all diesen harmlosen, langweiligen Durchschnittsgesichtern verbirgt!»
    «Mach es nicht so spannend! Erzähl schon!» Veronika füllte reihum erneut die Gläser.
    «Na ja, spannend war es eigentlich nicht. Eher enttäuschend und manchmal ganz schön verrückt. Zum Beispiel hatte ich einmal eine Verabredung mit einem unheimlich gutaussehenden Mann. Eigentlich haben wir uns prima verstanden, und ich hatte schon gedacht: Das ist er! Mit dem könntest du es riskieren, nach Deutschland zu gehen.» Sie lächelte versonnen, während sie, in Erinnerungen versunken, vor sich hin starrte.
    «Und? Was war mit ihm?»
    «Ihr werdet es nicht glauben!» Mascha begann zu lachen. «Er hatte eine Schweinezucht und fand keine deutsche Frau. Also suchte er in Russland eine, weil er dachte, dort wären die Frauen weniger anspruchsvoll.»
    «Puh, hast du das denn nicht gerochen?» Veronika schüttelte sich bei der Vorstellung an einen nach Schweinedung riechenden Mann.
    «Wie denn? Er war doch schon seit Tagen in Petersburg. Immerhin war der echt nett. Wären die Schweine nicht gewesen … Nun, jedenfalls war er um Klassen besser als der Typ, der eine russische Frau suchte, die ‹seine Mädels› betreuen sollte. Ich kann euch sagen, ich habe etwas gebraucht, bis mir klar war, dass er ein Bordell betrieb. Zuerst dachte ich, er wäre Witwer und suchte eine neue Mutter für seine Töchter!» Alle drei brachen in schallendes Gelächter aus.
    «Ich war schon ziemlich verzweifelt, als ich Hartmut traf», fuhr Mascha fort, als alle sich endlich wieder beruhigt hatten. «Zu Hause wurde
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