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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung.
Autoren: Stanislaw Lem
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Przetulowicz hatten versagt: Während der Kampfhandlungen waren die Scheiben eingeschlagen worden. So bestand der Grabschmuck nur aus einigen Tannenzweigen, und nach dem Hersagen des letzten Gebets wandten alle, sobald sie sich bekreuzigt hatten, dem begrünten Erdhügel unauffällig den Rücken und schlichen einer nach dem anderen über die schneebedeckten Pfade auf die morastige und pfützenbesäte Dorfstraße.
    Als die Priester, durchfroren wie die anderen Sterblichen auch, ihre weißen Meßhemden abgelegt hatten,waren sie gleich alltäglicher; eine ähnliche, wenngleich weniger auffällige Verwandlung ließ sich bei den anderen Anwesenden beobachten: Der feierliche Ernst wich, die Bewegungen wurden lockerer, die Blicke freier, und einem naiven Beobachter hätte es scheinen können, daß diese Menschen die ganze Zeit hindurch auf den Zehenspitzen gegangen waren und nun mit einem Schlage ihre Gangart änderten.
    Auf dem Rückweg verstand Stefan es einzurichten, daß er nicht in die Nähe der verwitweten Tante Aniela gelangte, nicht etwa, weil er sie verabscheute oder kein Mitleid empfunden hätte, im Gegenteil, er bedauerte sie, und zwar um so mehr, als er wußte, daß sie und ihr Mann eine harmonische Ehe geführt hatten; aber er konnte sich trotz fieberhaften Bemühens nicht eine einzige Beileidsfloskel abringen. Ein panischer Schrecken trieb ihn in die vordersten Reihen, wo Onkel Ksawery Arm in Arm mit Tante Melania Skoczyńska ging. Dieser Anblick war so außergewöhnlich und einmalig, daß Stefan aus dem Staunen nicht herauskam. Onkel Ksawery konnte Tante Melania nämlich nicht ausstehen, er nannte sie eine alte Giftampulle und pflegte zu sagen, man müsse ihre Fußspuren desinfizieren. Tante Melania, eine alte Jungfer, hatte es seit je darauf angelegt, den Hader in der Familie zu schüren; sie hinterbrachte den einzelnen Parteien unter dem süßen Deckmantel der Neutralität den Klatsch und die üble Nachrede der anderen, was viel böses Blut machte und viel Schaden verursachte, denn die Trzynieckis waren alle Hitzköpfe und verteufelt konsequent in ihren einmal entfesselten Gefühlen.
    Als Ksawery Stefans ansichtig, wurde rief er von weitem: »Sei gegrüßt, Bruder in Äskulap! Du hast doch wohl schon dein Diplom, wie?«
    Stefan mußte natürlich zur Begrüßung stehenbleiben,und er stieß seine Nase mit Schwung in die frostige Hand der alten Jungfer, worauf sie dann zu dritt dem Hause zustrebten. Gelb wie ein Ei tauchte es zwischen den Bäumen auf, ein wahres Schlößchen mit klassischen Säulen und einer großen Veranda, die in den Obstgarten hinausführte. Sie hielten vor dem Eingang an, um auf die Nachkommenden zu warten. Urplötzlich wurde in Onkel Ksawery der Hausherr wach, und so begann er die Verwandten mit einem Ungestüm in sein Haus zu bitten, als hätten sie alle gerade die Absicht geäußert, sich in der verschneiten und schlammigen Umgebung zu zerstreuen. In der Tür mußte Stefan die kurze, aber strapaziöse Zeremonie zahlloser Begrüßungen über sich ergehen lassen, die, während der Beerdigung zurückgehalten, nun lawinenartig auf ihn einstürzten. Er hatte seine ganze Geistesgegenwart aufzubieten, um sich nicht, abwechselnd Hände und stachlige Wangen küssend, versehentlich nach einer männlichen Hand zu bücken, was ihm bisweilen doch unterlief. Ohne zu wissen wie, fand er sich mitten unter den stiefelscharrenden, ärmelschwingenden und mantelablegenden Gästen im Salon. Beim Anblick der riesigen Standuhr mit ihren Messinggewichten fühlte er sich mit einemmal behaglich, denn sooft er früher seine Ferien in Nieczawy verbracht hatte, wurde ihm unter dem Hirschgeweih an der Wand gegenüber die Lagerstatt bereitet; in den Ecken standen ausgebeulte Sessel, mit denen er tagsüber gerungen hatte, um in ihre haarigen Eingeweide vorzudringen, des Nachts aber weckte ihn zuweilen der tiefe Baß des Stundenschlags, und das Zifferblatt schimmerte im Widerschein des Mondlichts gespenstisch aus dem Dunkel, kühl und rund, traumverklärt wie der Mond selbst. Doch er hatte nicht die Muße, in Kindheitserinnerungen zu schwelgen, denn im Zimmer herrschte reger Betrieb. Die Damen plazierten sich in den Sesseln, die Herrenstanden, in eine Wolke von Zigarettenrauch gehüllt, eine Unterhaltung war aber noch nicht in Fluß gekommen.
    Da öffneten sich beide Türflügel, und Anzelm trat auf die Schwelle. Mit der Miene eines gutmütigen und ein wenig zerstreuten Cäsaren bat er die Gäste zu Tisch. Von einem
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