Das Hiroshima-Tor
denen jeder Nagel und jedes kleine Loch registiert wurden. Diese und andere Einschränkungen
schienen bei Timo geradezu eine Paranoia ausgelöst zu haben, und offenbar war es ihm gelungen, Aaro damit anzustecken.
Soile wünschte, sie könnte sich ebenso für den Kauf begeistern. Aber gerade jetzt war sie mit ihren Gedanken ganz woanders.
Nachdem sie Aaro ein Käsebrot gemacht hatte, zog sie sich ins Schlafzimmer zurück, nahm ihr Telefon zur Hand und schrieb eine
SMS an Patrick: Wir sehn uns Montag . Schick keine sms.
Timo kam früher und besser gelaunt nach Hause als sonst.
»Ich muss morgen früh nach Helsinki«, sagte er, während er seine Jacke an die Garderobe hängte.
»Das ist nicht dein Ernst«, seufzte Soile beinahe aggressiv. »Warum hast du das nicht früher ...«
»Ich wusste es nicht. Das kam überraschend. Wichtige Sache.«
»Natürlich«, erwiderte Soile giftiger als beabsichtigt.
Reija stand mit dem Staubtuch in der Hand an der Küchentür und genoss es sichtlich, dass die Hausherrin ihre Nerven nicht
unter Kontrolle hatte.
»Am Samstagabend bin ich zurück«, sagte Timo. »Spätestens am Sonntag.«
Aaro kam mit seinem Brot aus der Küche. »Wir fahren also zum Glück nicht zu diesem Baumarkt.«
|30| »Doch«, sagte Timo. »Jetzt. Darum komme ich früher von der Arbeit.«
Soile warf ihm einen finsteren Blick zu.
Nachdem Timo eine Kleinigkeit gegessen hatte, stiegen sie alle drei in den Wagen.
Sie fuhren in Richtung Antwerpen nach Oostmall, wo es ein Geschäft gab, das architektonische Antiquitäten verkaufte. In einer
riesigen Halle waren riesige Mengen alter Kamine, Haus- und Zimmertüren sowie Musterparkett und Bodendielen aus zweihundert
Jahren gelagert. Timo brauchte lediglich 8,3 Quadratmeter Bodenfliesen für die Küche. Die Preise für hundert Jahre alte Art-nouveau-Kacheln waren in Ordnung, und es gab
eine enorme Auswahl. Aaro fotografierte ein paar Alternativen mit der Digitalkamera und sah sich die Aufnahmen während der
Rückfahrt an.
»Das mit den Blumen gefällt mir nicht«, sagte er auf dem Rücksitz.
»Blumenmotive sind typisch für die Zeit«, erklärte Timo, erstaunt darüber, dass Aaro dem Thema so viel Interesse entgegenbrachte.
»Das Grünliche hier hat geometrische Muster. Das sieht viel moderner aus.«
Timo mochte nicht sagen, dass es gerade nicht darum ging, etwas Modernes zu finden. Soile saß merkwürdig schweigend neben
ihm.
Er warf ihr einen Blick zu. »Probleme?«
Sie lächelte. »Wieso?«
Die Autobahnauffahrt kam näher. Zwei massive, graue Betonzylinder ragten am Horizont hinter dem Acker zum Himmel auf. Über
ihnen schwebte eine Wolke, die nach Dampf aussah und sich hell vom Abendhimmel abhob.
»Ist das ein Kernkraftwerk?«, fragte Aaro.
»Ja«, antwortete Soile. »Das sind die Kühltürme.«
»Und ist das eine Abgaswolke, die da schwebt?«
Soile musste lachen.
|31| »Kann durchaus sein, dass etwas darin enthalten ist, das die Umwelt verschmutzt«, sagte Timo ohne den Anflug eines Lächelns.
»Auch Ingenieure können sich irren.« Er hatte Soile nichts von den Problemen in Olkiluoto erzählt, die so lange geheim gehalten
werden sollten, bis etwas in die Öffentlichkeit durchsickerte.
»Red nicht über Umweltverschmutzung«, ereiferte sich Soile. »Kinder verstehen diese Art von Humor nicht.«
»Was hat das mit Humor zu tun? Aaro soll ein realistisches Bild von der Technik bekommen. Auch dieses Kraftwerk wird in einigen
Jahren stillgelegt, weil Belgien aus der Kernenergie aussteigt.«
»Das glaube ich kaum. Jedenfalls nicht, wenn das Kyoto-Protokoll befolgt wird und der Emissionshandel losgeht.«
Timo tat so, als habe er Soiles Kommentar überhört, denn er wusste, dass er in dieser Diskussion den Kürzeren ziehen würde.
Da war es besser, den Gegner einfach zu überrollen. »Holland, Deutschland und Spanien steigen ebenfalls aus der Kernenergie
aus, und vielleicht auch Schweden. In keinem Land der westlichen Welt werden neue Atomkraftwerke gebaut außer ...«
»In Finnland!«, juchzte Aaro triumphierend.
»Suomi rules!«
»Genau. Aber das ist auch kein Wunder, denn in Finnland kann es ja nicht zu Atomunfällen kommen. Aber wenn dort alles fehlerlos
ist, wäre es dann nicht das Klügste, auf der Stelle ein halbes Dutzend Meiler in Finnland zu bauen und den Strom nach Mitteleuropa
zu verkaufen, wo man das Unfallrisiko anerkennt ...«
Timo bemerkte, dass Soile demonstrativ auf die Uhr schaute. »Es
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