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Das Hiroshima-Tor

Titel: Das Hiroshima-Tor
Autoren: dtv
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Sirene aus und rollte langsam auf der Rampe zum Flussufer hinunter. Nur die nassen Fußspuren
     auf dem Pflaster zeugten noch von dem Mann, der gerade aus der Seine gestiegen war.
    Kurz darauf erschien auch ein Polizeiwagen, und der junge Mann mit dem Handy erzählte einem schnurrbärtigen Gendarmen, was
     er gesehen hatte.
    »Die Frau hat also versucht, Selbstmord zu begehen, und der Mann ist hinterhergesprungen, um sie zu retten«, fasste der Polizist
     mürrisch zusammen.
    »Nein. Haben Sie nicht verstanden? Die Frau sprang ihrer Handtasche hinterher. Das war alles andere als Selbstmord!«
    Der Polizist seufzte. Sein Kollege sprach mit einem anderen Passanten. Der Skandinavier war inzwischen noch bleicher geworden
     und zog sich diskret zurück.
    |10| In der anbrechenden Abenddämmerung gingen die Laternen auf der Brücke an und leuchteten in warmem Gelb. Während die Polizisten
     weitere Zeugen befragten, fuhr langsam ein roter Citroën-Lieferwagen die Rampe zum Ufer hinunter und hielt hinter dem Polizeiwagen
     an. Bald darauf ließen sich im zuckenden Blaulicht Taucher ins Wasser, um nach der Frau zu suchen.
    Einige ihrer Kollegen stellten Stative mit Halogenstrahlern auf und richteten das grelle, metallische Licht auf die trübe
     Wasseroberfläche. Oben auf der Brücke blieben immer mehr Fußgänger stehen, um einen Blick auf das betrübliche Schauspiel zu
     werfen, das in jähem Kontrast zur Vornehmheit der Île Saint-Louis mit ihren Kunstgalerien, Feinkostläden, Bistros und Konditoreien
     stand.
    Die Suche wurde durch das trübe Wasser beeinträchtigt. Doch nach einer knappen Stunde brachten die Taucher schließlich die
     Leiche der Frau ans Ufer. Sie wurde sofort zugedeckt, aber schon ein kurzer Blick auf die Tote löste bei der Polizei ganz
     neue Aktivitäten aus.
    Die rothaarige Frau war nicht ertrunken. Jemand hatte ihr die Kehle durchgeschnitten.
     
    »Guten Abend, verehrte Fluggäste«
, tönte es aus den Lautsprechern am Gate 42 des Pariser Flughafens Charles de Gaulle. Der Finne im Trenchcoat, der wie der
     Inbegriff des Skandinaviers, ja beinahe wie ein Wikinger aussah, trat von einem Bein aufs andere.
»Ihr
Malev
-Flug nach Budapest ist jetzt zum Einsteigen bereit. Gute Reise.«
    Der Finne stellte sich ganz vorne in die Schlange, er hatte nur ein Boardcase bei sich und schien äußerst nervös. In Budapest
     würde er übernachten und am nächsten Morgen nach Finnland weiterfliegen. Er hätte auch direkt von Paris nach Helsinki fliegen
     können, aber in den
Finnair-
oder
SAS-
Maschinen hätten Finnen gesessen, ebenso bei der
Lufthansa
und
KLM
. Er kannte zu viele seiner Landsleute – und vor allem, zu viele kannten ihn.
    Zufrieden stellte er fest, dass bei
Malev
außer ihm kein weiterer |11| großer, blonder Passagier in der Schlange stand. Das würde in der Morgenmaschine nach Helsinki anders sein, aber dann käme
     er aus Budapest und nicht aus Paris.
    Den Besuch in der französischen Hauptstadt musste er so schnell wie möglich vergessen.
    Allein der Gedanke an die Ereignisse auf dem Pont Marie sorgten dafür, dass sich sein Puls beschleunigte. Er war nur kurz
     am Tatort geblieben, aber auch das bereute er jetzt.
    Trotzdem durfte er sich jetzt nicht in einen Verfolgungswahn hineinsteigern. Niemand würde sich an den zufälligen Passanten
     erinnern, der nur nachgefragt hatte, ob schon jemand Krankenwagen und Polizei gerufen hatte.
    Oder hätte er länger vor Ort bleiben und das Schicksal von Tanjas Handtasche eruieren sollen? Hätte es eine Möglichkeit gegeben,
     sie aus dem Fluss zu fischen?
    Er erinnerte sich an das Lächeln der Frau, als ihre Blicke sich kurz getroffen hatten. Sie hatte ganz anders ausgesehen, als
     er sie sich vorgestellt hatte, zart wie eine Musikerin oder Künstlerin.
    Er reichte einer gut gelaunten Angestellten vom Bodenpersonal die Bordkarte und zwang sich zu einem Lächeln. Das verlangte
     dem verängstigten und deprimierten Mann einige Anstrengung ab.
     
    In der Nacht war der Uferwall der Seine unter dem Pont Marie menschenleer. Die von Bäumen gesäumten Straßen beiderseits des
     Flusses lagen im Nebel. Dort war auch um diese Zeit noch Verkehr, aber unten am Ufer war es still.
    Nur fünfzig Meter stromabwärts hörte man ein gedämpftes Plätschern. Sehr vorsichtig stieg dort ein Taucher an Land, unterstützt
     von einem Kollegen, der ihm vom Ufer aus half. Der nächste Laternenpfahl stand oberhalb des steilen Walls hinter Bäumen, und
     der Nebel schluckte
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