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Das Hexen-Amulett (German Edition)

Das Hexen-Amulett (German Edition)

Titel: Das Hexen-Amulett (German Edition)
Autoren: Susannah Kells
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müssten alle Christen einem Gewerbe nachgehen. Schon mit acht Jahren hatte sie in der Molkerei gearbeitet, es dann aber vorgezogen, Binsen zu sammeln, die als Bodenstreu verwendet und für die Binsenlichter gebraucht wurden. Es gab einen besonderen Grund für diese Wahl. Hier, wo sich der Bach zu einem tiefen Teich staute, konnte sie allein sein.
    Sie löste die Klammern aus ihren Haaren und legte sie ebenfalls in den Korb, wo sie nicht verloren gehen konnten. Noch einmal schaute sie sich um, ohne etwas zu entdecken, was sie hätte stören können. Sie fühlte sich so allein, als wäre der sechste Tag der Schöpfung angebrochen. Die Haare, so hell wie hellstes Gold, fielen ihr ins Gesicht.
    Sie wusste um den Engel hoch über ihr, der das große Buch des Lebens führte, auch genannt das Buch des Lammes. Schon als sie sechs Jahre alt gewesen war, hatte ihr der Vater von diesem Engel mit dem Buch erzählt. Damals hatte sie den Namen seltsam gefunden, doch jetzt wusste sie, dass mit dem Lamm Jesus gemeint und das Buch des Lebens in Wirklichkeit das Buch des Todes war. Sie stellte es sich als einen riesigen Folianten mit Messingbeschlägen vor, mit dicken Lederwülsten auf dem Rücken und mit Seiten, die groß genug waren, um alle Sünden eines jeden Menschen auf Gottes Erde darauf festzuhalten. Der Engel suchte jetzt bestimmt nach ihrem Namen, fuhr mit dem Finger das Register entlang und hielt dabei seine in Tinte getauchte Feder schreibbereit.
    Am Tag des Jüngsten Gerichts, so sagte der Vater, werde das Buch des Lebens dem Herrgott vorgelegt werden. Dann müsse jeder Mensch einzeln vor seinen Thron treten, und eine mächtige Stimme würde alle in diesem Buch eingetragenen Sünden laut vorlesen. Sie fürchtete diesen Tag. Sie fürchtete sich davor, auf dem kristallenen Boden unter dem aus Smaragd und Jaspis geschliffenen Thron zu stehen. Doch trotz dieser Furcht und trotz aller Gebete mochte sie nicht von der Sünde ablassen.
    Ein Windhauch fuhr ihr durchs Haar und ließ das gekräuselte Wasser des Baches silbrig aufblitzen. Dann herrschte wieder Stille. Es war heiß. Der Leinenkragen schnürte ihr den Hals zu. Das enge Mieder klebte auf der Haut, und das schwarze Kleid hing schwer an ihr herab. Die Luft war wie aus Blei.
    Sie fuhr mit den Händen unter den Saum ihre Rockes und öffnete ihre Strumpfbänder. Eine Erregung befiel sie, die sie trotz der Stille ringsum noch einmal ängstlich aufmerken ließ.
    Ihr Vater stattete gerade seinem Advokaten in Dorchester einen Besuch ab und wurde erst am Abend zurückerwartet, ihr Bruder war beim Pfarrer im Dorf, und von den Dienstboten kam nie jemand an den Fluss. Sie zog die dicken Strümpfe aus und stopfte sie in ihre Lederschuhe.
    Goodwife Baggerlie, die Haushälterin ihres Vaters, hatte sie ermahnt, nicht zu lange am Bach zu verweilen, weil die Soldaten kommen könnten. Aber die waren noch nie in der Nähe gesehen worden.
    Der Krieg hatte zwölf Monate zuvor, im Jahre 1642, begonnen und war von ihrem Vater, den man eigentlich als zurückhaltenden Mann kannte, mit Begeisterung begrüßt worden. Er hatte mit Hand angelegt, als ein römisch-katholischer Priester in dem alten Amphitheater von Dorchester aufgeknüpft wurde, was Matthew Slythe als ein göttliches Zeichen dafür deutete, dass fortan den Regeln der Heiligen entsprochen werde. Matthew Slythe war Puritaner, wie sein Hausstand und das gesamte Dorf. Allabendlich erflehte er in seinen Gebeten den Sturz des Königs und den Sieg des Parlaments. Aber der Krieg war nur wie ein fernes Wetterleuchten, er hatte Werlatton Hall und das Dorf, nach dem das Anwesen benannt war, noch nicht erreicht.
    Sie schaute sich um. Ein Wachtelkönig flatterte von der Wiese jenseits des Baches auf, aus Mohn, Mädesüß und Rauten. Da, wo der Bach in den Teich mündete, wuchsen die Binsen am höchsten. Sie löste die gestärkte weiße Schürze und legte sie, sorgsam gefaltet, zuoberst in den Korb. Auf dem Weg hierher hatte sie an der Hecke von Top Meadow ein paar rote Lichtnelken gepflückt, die sie jetzt vorsichtig an den Korbrand bettete, wo die zarten fünfblättrigen Blüten von den anderen Sachen nicht zerdrückt werden konnten.
    Dann rückte sie näher ans Wasser heran, blieb reglos stehen und lauschte dem Gurgeln des Baches und dem Summen der Bienen im Klee. Andere Laute waren in der heißen, schweren Luft nicht zu hören. Es war ein perfekter Sommertag, gewidmet der Reife von Weizen, Gerste und Roggen. Schon hingen die Zweige der
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