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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz
Autoren: Tad Williams
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»Wenn überhaupt eine Chance bestehen soll, müssen wir uns beeilen. Komm mit uns zurück, Bruder. Dein Menschenkind verkraftet nicht, was du ihm gegeben hast — davon kocht sein Blut. Komm zurück und hilf ihm, mit der schrecklichen Gabe der Feuerblume zu leben.«
    Der mächtige Hirsch senkte den Kopf. »Ich kann nicht, Schwester. Mit jedem Augenblick wird es schwerer, so zu denken wie ihr. Mit jedem Augenblick zieht mich die Strömung tiefer hinein in den Fluss des Vergessens. Bald wird der einzige Teil von mir, der noch mit der Welt in Berührung ist, der Feuerblumenteil sein.«
    »Aber du musst ...!«
    »Du verstehst es nicht. Du verstehst nicht ... was es mich kosten würde.«
    Saqri schwieg eine ganze Weile. »Nicht einmal, um das Menschenkind zu retten, kommst du mit mir? Du willst dein letztes und größtes Hasardspiel einfach verloren geben?«
    Der mächtige Hirsch hob den Kopf. Einen Moment glühten seine Augen ebenso lavendelfarben wie das Licht über seinem Kopf. »Nun gut, Schwester ... meine geliebteste Feindin. Der Sieg ist dein. Mit jedem Augenblick, den ich in den Zwischenlanden bleibe, rückt das Haus der Ewigkeit weiter von mir fort ... aber ich werde mein Bestes tun.« Das Tier senkte den hellen Kopf wie ein Gefangener, der auf das Beil des Scharfrichters wartet. »Ich werde geben, was ich habe. Ich hoffe, es ist genug.«

2

Ein Brief von Erasmias Jino
    »Geboren ward der heilige Waisenknabe, da sind sich alle Menschen einig, als Kind geringer Schafhirten in den krakischen Bergen, zur Zeit des Tyrannen Osias.«
    Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
    Mit einer Armee zu reisen, selbst mit einer kleinen —, und Eneas rief ihr immer wieder in Erinnerung, dass seine Tempelhunde eine
sehr
kleine Armee waren, kaum mehr als ein Schlachthaufen —, erschien Briony, wie in einer transportablen Stadt zu leben, einer Stadt, die man jeden Morgen abreißen und am Abend dann wieder aufbauen musste. Auch wenn die Truppen des Prinzen aus abgehärteten Männern bestanden, schnellen Reitern, die bei diesem Frühlingswetter kaum mehr benötigten als ihre Bettzeugrollen und Wasser, konnten sie doch täglich nur so weit kommen, wie es die Vorsicht zuließ. In diesem seltsamen Jahr waren auf den Straßen nur wenige Menschen unterwegs, und diese wenigen zogen oft nur von einer befestigten Stadt zur nächsten, sodass über die Lage jenseits der südmärkischen Grenze kaum etwas zu erfahren war.
    Mit jedem Tag arbeiteten sie sich weiter nach Norden vor, auf König Karals Straße (benannt nach einem von Eneas' berühmtesten Vorfahren) aus Syan hinaus und durch die Territorien, die zwischen jenem Reich und den Markenlanden lagen — hauptsächlich winzige Fürstentümer und Grafschaften, die offiziell der Krone von Tessis oder der Krone von Südmark Gefolgschaftstreue geschworen hatten, aber nur deshalb noch existierten, weil sie in der langen Zeit des Friedens ihre Soldaten zu Hause hatten behalten können. Jetzt, da im Norden Chaos herrschte, war man in diesen Gebieten weit weniger zufrieden und gastfreundlich als zuvor.
    Das hatten sie etwa in einem Grafschaftsstädtchen bei Tyosbruck erfahren müssen. Der Stadtherr, Graf Kymon, hatte sich geweigert, Eneas' Männer innerhalb der Mauern aufzunehmen, obwohl es den Händlern der Stadt einiges Geld eingetragen hätte. Zwar waren Eneas und sein rundes Dutzend Offiziere (darunter auch Briony) eingeladen worden, im Schloss des Grafen zu übernachten, aber Eneas hatte wutentbrannt abgelehnt, weil darin die Unterstellung steckte, dass seinen Männern nicht zu trauen war — oder, schlimmer noch, dass
ihm
nicht zu trauen war. Stattdessen hatten sie mit den Männern vor der Stadt kampiert, was Briony als Geste sehr bewunderte. Aber ein Teil von ihr bedauerte dennoch, dass sie sich die Chance hatten entgehen lassen, ein Mal in einem anständigen Bett zu nächtigen. Über all den Nächten, die sie auf dem Boden verbracht hatte, zuerst mit den Schauspielern und jetzt wieder mit den syanesischen Kriegern, war ihr schon fast entfallen, wie es sich anfühlte, in einem weichen Bett zu schlafen, wenn sie sich auch klar erinnerte, es im Weithallpalast genossen zu haben.
    Am nächsten Tag führte Eneas seine Männer wieder auf die Königliche Straße. Er würdigte den befestigten Grafensitz auf dem Hügel kaum eines Blicks, doch von den Männern drehten sich doch etliche wehmütig um, als die Silhouette hinter ihnen entschwand.
    »Ist schon
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