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Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Akers
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als hätte er sich umgedreht und wäre gestorben, bevor er seine Waffe ziehen konnte. Die Tür zur Kammer stand einen Spalt offen. Dahinter konnte ich noch mehr Blut erkennen.
    Higgins erreichte die Plattform und rappelte sich mühsam auf. Zu stehen gestaltete sich für uns beide schwierig, denn die Pracht stieg in weiten Spiralen höher, schwankte und schlingerte dabei, da die Steuerungssysteme ausfielen. Es war wie eine Achterbahnfahrt, nur glitschig vor Blut. Higgins und ich stützten uns an der Reling und betrachteten prüfend unser Umfeld.
    »Wo ist die verdammte Sicherheitsmannschaft?«, flüsterte Higgins.
    »Das sind wir«, erwiderte ich und zeigte auf die Leiche am Boden. »Nimm seine Pistole und folg mir.«
    Ich wartete, bis Higgins den Revolver hatte, den er mit beiden Händen hielt, die Ellbogen steif an den Hüften. Ich stemmte meinen Stiefel gegen die Tür und schob sie langsam auf. Der Raum dahinter glich einem Schlachthof, einem Albtraum aus Blut und kaputten Maschinen. Ich schlich hinein.
    In vollem Betrieb ist die Primärkammer ein Raum, in dem nüchterne Effizienz und Lärm vorherrschen. Wenn der Kapitän angeschlossen ist, braucht er weder Luxus noch Komfort, deshalb ist die Kammer gerammelt voll mit der technischen Ausrüstung des Luftschiffs. Rohre und Getriebe, die als Steuerblock für das Schiff dienten, bedeckten die Wände und übertönten alle anderen Geräusche. In der Nähe tosten Brenner, die heiße Luft in die Auftriebskammern beförderten und den Flug des Luftschiffs lenkten. Die Primärkammer stellt das überfrachtete Herz eines Luftschiffs dar: laut, heiß und vor Energie strotzend.
    In diesem Raum jedoch herrschte Ruhe. Die Getriebe standen still, die Brenner flackerten, die Rohre schwitzten Kondenswasser und Blut. Blut war überall; Blut und Stille. Higgins sog scharf die Luft ein.
    »Der Steuerblock ist außer Betrieb. Verdammt noch mal, wie … wie hält uns der Kapitän in der Luft?«
    Ich schüttelte den Kopf und durchquerte die Kammer zur Schnittstelle. Es handelte sich um einen Stahlzylinder in der Mitte des Bodens, befestigt mit einem Netzwerk von Rohrleitungen. Ich stieg über die stillstehende Technik hinweg und schritt die Kammer ab.
    Der Körper des Kapitäns glich einer Puzzleschachtel, die man geöffnet und deren Inhalt man über den Raum verstreut hatte. Er war noch an das Luftschiff angeschlossen. Kabel steckten in den Zinnaugen, der Herzmechanismus ragte aus der origamiartigen Brust, Zahnräder griffen in die Schnittstelle der Kammer ein, Rohre und Schläuche verliefen unter seiner Haut und mündeten in die Leitungen seiner Knochen. Für ein ungeschultes Auge sah es grauenhaft aus, wie eine halb vollendete Sektion. Ich jedoch hatte das alles schon gesehen. Ich war selbst an diesem Platz gewesen.
    Allerdings war über das in der Kammer übliche Maß an Gewalt hinaus eine noch größere Abscheulichkeit angerichtet worden. Sein Bauch war aufgeschlitzt und in Stücke gehackt worden, sodass die verborgenen inneren Mechanismen seines Brustraums freilagen. Die ölige Schwärze seines Sekundärbluts vermischte sich mit dem Rot und Weiß seines sterbenden Körpers. In dem Raum befand sich eine Menge Blut, und der Großteil davon gehörte diesem Mann.
    Higgins humpelte neben mich, warf einen Blick auf den Kapitän und wandte sich von der Schnittstelle ab, um sich zu übergeben. Zwischen dem Körper und den Getrieben der Kammer klemmte eine Feuerwehraxt, die wahrscheinlich von einer Notstation in der Nähe stammte.
    »Meldung erstatten«, dröhnte die Stimme des Kapitäns aus der Sprechanlage des Raums. Wir zuckten beide zusammen, als wir den toten Mann zu unseren Füßen reden hörten. »Kann die Kontrolle wiederhergestellt werden?«
    Higgins hustete und spuckte aus. Dann straffte er die Schultern und blickte zur Decke. Seine Augen wirkten glasig. »Nein, Sir. Ich … ich fürchte, ich muss melden, dass Sie tot sind, Sir. Sie wurden ermordet.«
    Stille beherrschte die Kammer. Was von dem Mann noch verblieb, war lediglich ein Echo, ein Bewusstseinssplitter, der durch die Seelenleitung geisterte, die dem Kapitän die Kontrolle über das Schiff ermöglichte. Wie musste sich das anfühlen? Tot zu sein und trotzdem zu fliegen; tot zu sein und trotzdem zu sprechen …
    »Egal. Setzen Sie den Steuerblock in Gang. Wir sind zu hoch aufgestiegen, um es hinunter zum Spitzmeer zu schaffen. Ich werde versuchen, uns über den Wasserfall zu befördern und das Schiff im Reine zu landen.
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