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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Autoren: Carson McCullers
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verstehst nichts vom Geschäft«, sagte Biff. »Der Mann ist vor zwölf Tagen zum ersten Mal ins Lokal gekommen und kannte hier in der Stadt niemanden. In der ersten Woche haben wir zwanzig Dollar an ihm verdient. Wenn nicht mehr.«
    »Und danach alles auf Pump«, sagte Alice, »fünf Tage auf Pump, und so besoffen, dass es fürs Geschäft ’ne Schande ist. Außerdem ist er nichts wie ’n Pennbruder und ’ne Missgeburt.«
    »Ich mag Missgeburten«, sagte Biff.
    »Kann ich mir denken! Kann ich mir haargenau denken, Mister Brannon – bist ja selber eine.«
    Er rieb sich sein dunkles Kinn und achtete nicht weiter auf sie. In den ersten fünfzehn Jahren ihrer Ehe hatten sie einfach Biff und Alice zueinander gesagt. Dann hatten sie sich bei einer Zankerei plötzlich Mister und Missis genannt, und dabei war es geblieben, weil sie sich seitdem nie wieder recht vertrugen.
    »Das lass dir gesagt sein: Wenn ich morgen runterkomme, ist der besser nicht mehr da.«
    Biff ging ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht und beschloss, dass auch noch Zeit zum Rasieren war. Sein Bart war so schwarz und dicht, als hätte er sich drei Tage nicht rasiert. Er stand vor dem Spiegel und rieb sich nachdenklich die Wange. Er hätte nicht mit Alice reden sollen. Schweigen war das Beste bei ihr. Wenn er mit dieser Frau zusammen war, war er nicht er selbst, dann war er genau so hart, kleinlich und gewöhnlich wie sie. Biffs Blick unter den gesenkten Lidern war kalt und starr und zynisch. Am kleinen Finger seiner schwieligen Hand steckte der Trauring einer Frau. Die Tür hinter ihm stand offen, im Spiegel konnte er Alice im Bett liegen sehen.
    »Weißt du«, sagte er, »das Schlimme an dir ist, dass du keine richtige Güte kennst. Eine einzige Frau habe ich gekannt, die hatte diese richtige Güte, die ich meine.«
    »Na, dich hab ich Sachen machen sehn, auf die kein Mensch auf der Welt stolz wär. Ich hab ja erlebt, wie du…«
    »Vielleicht mein ich auch Interesse. Du siehst nichts, und dir fällt nie was auf. Du schaust nicht genau hin, denkst nie über was nach und versuchst auch nie was rauszukriegen. Vielleicht ist das der größte Unterschied zwischen dir und mir.«
    Alice war fast wieder eingeschlafen; er betrachtete sie im Spiegel wie eine Fremde. An ihr war nichts, das seine Aufmerksamkeit fesseln konnte; sein Blick glitt von ihrem hellbraunen Haar hinab zur gewölbten Bettdecke über ihren Füßen. Die weichen Formen ihres Gesichts setzten sich in den Rundungen ihrer Hüften und Schenkel fort. Wenn er nicht bei ihr war, fiel ihm gar nichts ein, das an ihr hervorstach; dann war sie für ihn bloß ein großes Ganzes ohne Ecken und Kanten.
    »Du hast auch nie Spaß im Theater gehabt«, sagte er.
    Ihre Stimme klang müde: »Der Kerl unten ist genug Theater, und ein ganzer Zirkus noch dazu. Aber ich hab jetzt genug davon, jetzt ist Schluss.«
    »Verdammt noch mal, der Mann ist mir doch ganz egal. Ich bin nicht mit ihm verwandt und auch nicht mit ihm befreundet. Aber du verstehst das halt nicht – man muss erst sehr viele Einzelheiten zusammentragen, um die Wirklichkeit ganz zu verstehen.« Er drehte den Warmwasserhahn auf und begann sich zu rasieren.
    Es war am Morgen des 15.   Mai gewesen, jawohl, da war Jake Blount reingekommen. Er war ihm gleich aufgefallen, und er hatte ihn genau betrachtet. Der Mann war klein, aber seine Schultern waren breit und schwer. Er trug einen kleinen, struppigen Schnurrbart, und seine Unterlippe sah darunter aus, als hätte ihn eine Wespe gestochen. Der ganze Kerl schien aus Widersprüchen zu bestehen. Sein Kopf war sehr groß und wohlgeformt, aber sein Hals war zart und schlank wie der eines Knaben. Der Schnurrbart wirkte so künstlich, als wäre er für ein Kostümfest angeklebt und als würde er abfallen, wenn er zu schnell redete. Er machte aus ihm einen Mann mittleren Alters, obwohl sein Gesicht mit der hohen, glatten Stirn und den großen Augen noch jung wirkte. Er hatte schmutzige, schwielige Riesenpranken und trug einen billigen weißen Leinenanzug. Der Mann hatte zwar unbedingt etwas Komisches an sich, gleichzeitig aber hielt einen etwas davon ab, über ihn zu lachen.
    Er bestellte eine Flasche Schnaps und trank sie in einer halben Stunde aus. Dann setzte er sich in eine Nische und aß eine große Portion Hühnchen. Später las er in einem Buch und trank Bier. So hatte es angefangen. Obwohl Biff sich diesen Blount sehr genau angesehen hatte, hätte er sich die verrückten Dinge, die später
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