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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Autoren: Carson McCullers
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über die beiden Freunde.
    Antonapoulos war zwar nicht mehr krank, aber er hatte sich verändert. Er war gereizt und nicht mehr zufrieden, seine Abende still zu Hause zu verbringen. Wenn er ausgehen wollte, folgte Singer ihm auf Schritt und Tritt. Antonapoulos ging gewöhnlich in ein Restaurant, und wenn sie dann am Tisch saßen, steckte er sich heimlich Zuckerstückchen, einen Pfefferstreuer oder Silberbesteck in die Taschen. Singer zahlte jedes Mal dafür, damit sie keinen Ärger bekamen. Zu Hause schimpfte er mit Antonapoulos, aber der dicke Grieche sah ihn nur milde lächelnd an.
    Die Monate gingen dahin, und Antonapoulos’ Angewohnheiten wurden immer schlimmer. Eines Mittags ging er seelenruhig aus dem Laden seines Vetters über die Straße und pinkelte in aller Öffentlichkeit die Nationalbank an. Und wenn er jemandem begegnete, dessen Gesicht ihm nicht gefiel, rempelte er ihn an und schubste ihn mit seinem Bauch und den Ellenbogen beiseite. Eines Tages ging er in einen Laden und schleppte, ohne zu bezahlen, eine Stehlampe heraus, und ein andermal versuchte er eine elektrische Eisenbahn mitzunehmen, die er im Schaufenster gesehen hatte.
    Für Singer war es eine trübselige Zeit. Immer wieder musste er in der Mittagspause mit Antonapoulos aufs Gericht, um dessen Gesetzesübertretungen auszubügeln. Bald war er mit Prozessen und dergleichen sehr vertraut und kam aus den Aufregungen nicht mehr heraus. Seine Ersparnisse wurden von Bürgschaften und Geldstrafen aufgezehrt. All seine Kraft und all sein Geld verwandte er darauf, seinem Freund eine Gefängnisstrafe wegen Diebstahls, Erregung öffentlichen Ärgernisses, Tätlichkeiten oder Körperverletzungen zu ersparen.
    Der griechische Vetter, bei dem Antonapoulos arbeitete, kümmerte sich keinen Deut um diese Scherereien. Charles Parker (diesen Namen hatte der Vetter angenommen) ließ Antonapoulos weiter bei sich arbeiten, beobachtete ihn aber ständig und dachte nicht daran, ihm zu helfen. Singer war dieser Charles Parker mit seinem blassen, verkniffenen Gesicht nicht ganz geheuer. Er wurde ihm langsam unsympathisch.
    Singer lebte in ständiger Unruhe und Sorge, während Antonapoulos unverändert sanft und milde blieb. Was auch geschah – sein Gesicht zeigte stets dasselbe freundlich-müde Lächeln. In all den Jahren hatte Singer im Lächeln seines Freundes etwas Feinsinniges und Weises gesehen. Er hatte nie recht gewusst, wie viel Antonapoulos verstand und was er dachte. Nun glaubte Singer in der Miene des dicken Griechen etwas wie hinterhältigen Spott zu entdecken. Er schüttelte den Freund an den Schultern, bis er nicht mehr konnte, und setzte ihm immer wieder mit den Händen alles auseinander. Aber es half nichts.
    Singers Geld war verbraucht, und er musste sich bei dem Juwelier, für den er arbeitete, etwas borgen. Einmal konnte er die Kaution für seinen Freund nicht bezahlen, und Antonapoulos verbrachte die Nacht im Gefängnis. Als Singer ihn am nächsten Tag abholen wollte, war Antonapoulos missmutig. Er wollte nicht gehen. Die Gefängniskost – Schweinebauch und Maisbrot mit Sirup – hatte ihm ausgezeichnet geschmeckt, und das Schlafen zu mehreren in einer Zelle gefiel ihm außerordentlich.
    Sie hatten so zurückgezogen gelebt, dass Singer keinen Menschen hatte, der ihm in seinem Unglück beistehen konnte. Antonapoulos ließ sich durch nichts von seinen Gewohnheiten abbringen. Zu Hause kochte er manchmal das neue Gericht, das er im Gefängnis gegessen hatte, und wenn er ausging, war man nie sicher, was er nun wieder anstellen würde.
    Und dann kam für Singer der endgültige Schlag.
    Als er Antonapoulos eines Nachmittags im Laden abholen wollte, übergab Charles Parker ihm einen Brief. Darin stand, dass er die Aufnahme seines Vetters in das zweihundert Meilen entfernte staatliche Irrenhaus veranlasst habe. Er hatte seinen Einfluss geltend gemacht, und alle Einzelheiten waren bereits geregelt. Antonapoulos sollte in der nächsten Woche dort aufgenommen werden.
    Singer las den Brief mehrmals und konnte lange keinen Gedanken fassen. Charles Parker redete über den Ladentisch hinweg auf ihn ein, aber er machte nicht einmal den Versuch, seine Worte von den Lippen abzulesen und zu verstehen. Schließlich schrieb er auf den kleinen Notizblock, den er immer bei sich trug:
    Das können Sie nicht machen. Antonapoulos muss bei mir bleiben.
    Charles Parker schüttelte aufgeregt den Kopf. Sein Englisch war nicht gut. »Geht Sie nix an«, sagte er immer
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