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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht
Autoren: Ulrike Schweikert
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Flammenhölle, die einmal Hamburg gewesen war, hinter sich. Das Mädchen verfiel in Schweigen, und Claasen drängte es nicht. Es musste Schlimmes erlebt haben, wie so viele in Hamburg. Es würde dauern, bis die Häuser wieder aufgebaut und die Narben verheilt sein würden. Endlich hielt die Kutsche vor dem stattlichen weißen Säulenbau. Die Haustür flog auf, und ein großer, dunkelhaariger Mann mit fremdländischen Gesichtszügen erschien.
    »Sophie?«, sagte er in fragendem Ton und streckte dem Mädchen die Arme entgegen, in die es sich vertrauensvoll hineinsinken ließ.
    »Sage Spritzenmeister Claasen Dank«, sagte das Kind. »Er hat uns heimgebracht.« Ihr Finger wies zum offensichtlich leeren Wagenkasten.
    Der vierschrötige Mann verbeugte sich tief. »Wir stehen in Ihrer Schuld, Spritzenmeister Claasen. Peter von Borgo wird sich Ihnen erkenntlich zeigen.«
    Claasen nickte verwirrt und stieg vom Kutschbock. Er verabschiedete sich von dem seltsamen Paar und machte sich auf den Weg nach Flottbek zu seiner Familie, um sich zu stärken, ehe er sich wieder dem Kampf gegen die Flammen stellte.
    In der Nacht zum Sonntag wurde das Feuer endlich von den Befestigungsanlagen am Glockengießerwall aufgehalten, und es war der Verdienst der unermüdlichen Feuerwehrleute, dass der Brand – trotz des starken Funkenflugs – sich nicht in St. Georg fortsetzte. Am Morgen des 8. Mai 1842 erlosch das Feuer, nachdem es mehr als eintausend Häuser und Speicher vernichtet hatte. Zwanzigtausend Menschen hatten ihre Wohnungen und ihre Habe verloren. Das alte Hamburg war fast völlig vernichtet. Doch der Mut der Hamburger war ungebrochen. Schon bald würde sich eine neue Stadt aus der Asche und den Ruinen erheben. Größer, moderner, prächtiger. Niemand und nichts konnte Hamburg in die Knie zwingen!
     
    Epilog
    Der junge Stutzer blieb abrupt stehen.
    »Was ist?«, erkundigte sich sein Freund.
    »Das Mädchen da!« Arthur Vidal, Sohn des Hamburger Konsuls und Kaufmanns Theodor Edmund Vidal, der gerade von einer Reise aus England zurückgekehrt war und nun in seiner Heimatstadt Hamburg mit den neusten Modeextravaganzen der Insel beeindrucken wollte, deutete mit zitterndem Finger auf ein Mädchen von etwa siebzehn oder achtzehn Jahren, das aufrecht unter einer der weit geöffneten Flügeltüren stand, die auf die Terrasse und von dort in den nach englischem Vorbild angelegten Park führte, der bis hinunter zur Elbe reichte.
    »Was ist mit dem Mädchen«, erkundigte sich sein Freund Bernhard, Sohn des Bankdirektors Conrad Hinrich Donner, Besitzer des wundervollen Elbschlosses, arglos, obwohl er längst erkannt hatte, was mit seinem Kumpan geschehen war.
    »Ist sie nicht unglaublich? Diese dunklen Locken, die zarte, helle Haut, diese makellose Figur, die ihr weißes Seidenkleid noch unterstreicht. Es ist übrigens von neuster Mode und bestem Geschmack, und ich vermute von einem der ersten Schneider in London gefertigt. Ich kenne mich da jetzt aus, das kannst du mir glauben.« Er richtete seinen Blick wieder verzückt auf das Mädchen, um mit seiner Schwärmerei fortzufahren.
    »Und wie aufrecht sie dasteht, geradezu königlich, und doch dieser Hauch von Schwermut in ihrer ernsten Miene. So stark und doch auch zerbrechlich. Und hast du ihre Augen gesehen? Sie sind einfach nur schwarz. Unergründlich, den Blick auf eine Welt gerichtet, die wir nicht sehen können. Ich sage dir, sie birgt ein Geheimnis!«
    »Aber ja«, bestätigte der Sohn des Gastgebers mit leichtem Spott in der Stimme. »Und sie bedarf nichts mehr als einen glühenden Verehrer und Retter, um sie aus den Tiefen der Finsternis zu befreien und – äh – direkt auf die Tanzfläche zu entführen.«
    »Kennst du sie?«, verlangte sein Freund zu wissen. »Wie heißt sie? Ich will alles wissen!«
    »Ihr Name ist Sophie von Borgo, sie ist eine Waise und lebt bei einem reichen und ein wenig exzentrischen Onkel mütterlicherseits in der Säulenvilla in Baurs Park. Und nun geh!« Er gab seinem Freund einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen. »Worauf wartest du? Beeile dich, ehe sie vor deiner Nase von einem finsteren Dämon entführt wird.«
    Der junge Mann tappte ein wenig unbeholfen auf das Mädchen zu und verbeugte sich tief. Es fiel ihm schwer, auch nur einen Blick von ihr zu wenden. Ihr Blick dagegen blieb weiter in die Ferne gerichtet, obwohl sie ihn längst bemerkt zu haben schien und den Kopf ein wenig in seine Richtung neigte.
    »Fräulein Sophie, verzeihen Sie, dass ich
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