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Das Herz der Kriegerin

Das Herz der Kriegerin

Titel: Das Herz der Kriegerin
Autoren: Corina Bomann
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wahrscheinlich hatte er
solch eine helle Stimme nicht vermutet bei einem Jüngling. An meinen Worten
konnte sein Erstaunen wohl nicht liegen, denn nur ein Schwachsinniger würde
darauf bestehen, mitten im Zentrum der Gefahr zu bleiben, wenn nicht genug
Verteidiger da waren.
    »Also gut, was sollen wir tun?«, fragte der Leibwächter.
    »Habe ich da nicht auch ein Wörtchen mitzureden?«, meldete sich
der Prinz nun zu Wort, der sich in den Hintergrund geflüchtet und es zunächst
dem Wächter überlassen hatte, mit uns zu verhandeln.
    »Majestät.« Der Stadtvogt neigte das Knie vor dem Dauphin. »Ihr
seid wirklich in sehr großer Gefahr und müsst die Stadt verlassen. Diese Männer
dort …« Er stockte kurz, fragte sich wahrscheinlich, ob wirklich alle von
uns Männer waren. »Diese Männer haben geschworen, Euch zu beschützen. Leider
erlaubt es der Gesundheitszustand Eures Vaters nicht, Euch eine Nachricht
zukommen zu lassen, doch vertraut mir, wenn wir bei Euch sind, wird Euch kein
Leid geschehen.«
    Der Prinz blickte skeptisch zu uns herüber. Selten hatte ich so
einen kränklich aussehenden Jungen gesehen! Angst mochte seine Wangen vielleicht
zusätzlich noch bleichen, doch der käsige Teint und die blauen Schatten unter
seinen Augen ließen ebenso wie seine kümmerliche Gestalt auf schlechte
Gesundheit schließen. Wer weiß, ob er lange genug leben würde, um die Krone aufs
Haupt gesetzt zu bekommen!
    Doch Sayds Visionen trogen meist nicht – und ob Charles leben oder
sterben würde, lag in den Händen der Götter.
    »Woher kommt Ihr?«, fragte der Prinz, nachdem er den Anblick
unserer vermummten Gestalten in sich aufgesogen hatte.
    »Aus Rouen«, antwortete Sayd rasch. Sein Französisch war
mittlerweile gut genug, um einen Franzosen glauben zu machen, er wäre ein
Landsmann. Bei seinem Gesicht war das schon etwas anderes. »Wir sind Freunde der
Armagnacs.«
    »Unsere Familie trägt den Namen Orléans!«, plusterte sich der
Prinz auf. »Dass man uns jetzt Armagnac nennt, ist nur dem Umstand geschuldet,
dass die verfluchten Burgunder meinen Onkel ermordet haben und der Graf von
Armagnac notgedrungen unserem Haus vorsteht!«
    Der Hass, der in seinen Augen loderte, passte nicht zum
Kindergesicht des Dauphin. War dieses Lodern ein Hinweis darauf, dass auch er
eines Tages vom Wahn befallen werden würde wie sein Vater?
    Nur einen kurzen Blick hatten wir auf den geisteskranken König
werfen können. Einen König, der schon lange nicht mehr wusste, was in seinem
Reich geschah.
    »Lasst mich eure Gesichter sehen!«, forderte der Dauphin nun.
»Erst dann werde ich entscheiden, ob ich euch vertraue.«
    Ich blickte kurz zu Sayd und zog fragend die Augenbrauen hoch.
Während unserer Zeit hier hatten wir nur sehr selten unsere Gesichter gezeigt,
auch der Prinz sollte sie eigentlich nicht zu sehen bekommen. Unser Anführer
nickte allerdings und machte dann den Anfang.
    Sein langes, schmales Gesicht mit den orientalischen Zügen, der
leicht gekrümmten Nase und dem kurz geschnittenen schwarzen Bart an Oberlippe
und Kinn rief noch keine besondere Verwunderung hervor, auch nicht Davids rote
Haare und das stoppelige Kinn oder Vincenzos blonde Lockenmähne, mit der man ihn
von hinten für ein Mädchen halten konnte.
    Der Leibwächter und auch der Stadtvogt schauten erst überrascht
aus der Wäsche, als ich das Tuch von meinem Gesicht fortnahm. Mein Haar sahen
sie nicht, wohl aber, dass meine Züge nicht wirklich die eines Burschen waren.
Jedenfalls nicht mehr. In den vergangenen hundert Jahren war ich zwar nur
unwesentlich gealtert, doch mein Aussehen war weiblicher geworden, und meine
Augen hatten mehr denn je die Farbe von Gletschereis – oder von Lavendel, wenn
ich von tiefen Gefühlen bewegt wurde.
    Obwohl das nicht der Fall war, weiteten sich die Augen des Prinzen
überrascht, doch er brachte kein Wort hervor. Hatte er noch nie eine Frau
gesehen? Das bezweifelte ich angesichts der vielen Bildnisse von mehr oder
weniger schönen Frauen, an denen wir auf unserem Weg hierher vorbeigekommen
waren.
    Überraschenderweise kam er nun auf mich zu.
    Obwohl er unbewaffnet war und auch nicht sonderlich kräftig,
erwachte in mir sofort meine natürliche Abwehr. Es ist nur ein Junge, sagte ich
mir. Er wird gewiss kein Messer zücken und nach dir stechen.
    »Du siehst wie ein Engel aus«, sagte der Dauphin und streckte dann
seine Hand nach meinem Gesicht aus.
    Er war nicht der Erste, der mich mit den himmlischen Sendboten der
Christen,
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