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Das Herz der Kriegerin

Das Herz der Kriegerin

Titel: Das Herz der Kriegerin
Autoren: Corina Bomann
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ob er der Mann war, den ich damals an das Meer verloren hatte.

31
    E ine Zeit der Ungewissheit folgte. Niemand wusste zunächst, wo Jeanne hingebracht worden war. Meine Brüder und ich durchkämmten die Gegend und versuchten, Erkundigungen einzuholen, doch niemand wusste um den Verbleib der Jungfrau. Dann, eines Tages, kam die Kunde, die Burgunder hätten sie den Engländern übergeben und jene sie nach Rouen gebracht.
    Noch in derselben Nacht ritten wir dorthin, nahmen Quartier in einer Herberge und versuchten, so viel wie möglich herauszufinden. Die Anteilnahme der Menschen war groß, doch die Franzosen, die jetzt schon etliche Zeit unter englischer Besatzung lebten, wagten sich nicht öffentlich zur Jungfrau zu bekennen.
    Die Engländer jedenfalls behaupteten, dass sie eine Hexe und Hure wäre. Der Prozess zog und zog sich, das peinliche Verhör, die Anwendung der Folter bei der Befragung, hing wie ein Schreckgespenst über uns allen und meine Machtlosigkeit erregte nicht nur einmal furchtbaren Zorn in mir. Nur schwerlich konnte ich mich zurückhalten, auf offener Straße englische Soldaten dafür abzustechen.
    Dreimal versuchten wir, Jeanne aus der Haft zu retten. Dreimal schlug es fehl, obwohl wir keine Rücksicht auf die Bewacher nahmen und einige von ihnen töteten. Das Glück hatte uns verlassen, und Sayd kam zu der Einsicht, dass der richtige Zeitpunkt, sie zu befreien, noch nicht gekommen war. Wenn er denn überhaupt je kommen würde. Ich war sicher, dass die Engländer nicht einmal ihren König derart gut bewachen ließen wie die Jungfrau aus Orléans. Der Vorschlag Belemoths, Jeannes Ankläger Pierre Cauchons zu ermorden, fand bei Sayd keinen Anklang. »Es wird ein anderer kommen«, gab er zu bedenken. »Die Engländer werden sie nicht mehr freigeben. Der Herzog von Bedford ist geradezu versessen darauf, ihren Ruf zu ruinieren. Wenn wir Cauchons töten, sucht er sich eben einen anderen Ankläger.«
    Belemoth spuckte aus bei der Erwähnung des Bischofs von Beauvais, der von den meisten Franzosen hier Verräter genannt wurde, weil er sich den Engländern anbiederte, doch er wusste, dass Sayd recht hatte. Und ich wusste es auch, obwohl ich ihn zuweilen dafür hasste, dass er sich, gestützt auf seine Vision, offenbar mit dem Schicksal, das Jeanne drohte, abgefunden hatte. War sie nicht zu unserer Freundin geworden? Hatten wir nicht geduldig mit ihr gewartet? Sie beschützt wie unser Kind? Wie konnte er jetzt mit ansehen, wie die Engländer ihren Ruf in den Dreck zogen und versuchten, ihr noch Schlimmeres anzutun?
    Doch dann sah ich den Schmerz in seinen Augen und wusste, dass er ebenso wie ich fühlte und litt. Doch genau wie damals, als er den Triumph Saladins sah, wusste er, dass sich die Geschichte auch hier nur bedingt aufhalten lassen würde. Das Beispiel Johann Ohnefurchts hatte uns das gelehrt.
    Wenn wir sie schon nicht befreien konnten, so versuchte ich doch weiterhin, ihr hin und wieder eine Nachricht zukommen zu lassen, irgendetwas, das ihr zeigte, dass sie nicht allein war. Vielleicht konnten wir sie ja nach Verkündigung des Urteils, wenn Bedford seinen Willen bekommen hatte, irgendwie freibekommen.
    Einmal schaffte ich es doch, allein zu ihr zu gelangen. Dazu kletterte ich an den Mauern des Turms hinauf, in den man sie gesperrt hatte, und schaute durch das vergitterte Fenster, das mehr ein Luftloch war, aber immerhin in Kopfhöhe, sodass sie mich sehen konnte. Als ich sie erblickte, in einem Büßerhemd mitten in diesem engen, von altem Stroh und Rattenkot stinkenden Kerkerloch, brach ich in Tränen aus.
    »Weine nicht«, sagte sie und streichelte mein Gesicht. »Ich habe getan, was Gott von mir verlangt hat, so wird er mich auch in dieser Stunde nicht verlassen.«
    Das bezweifelte ich. Wenn ich den Geschichten der Christen unter meinen Brüdern glaubte, hatte Gott sogar seinen eigenen Sohn verlassen in dessen Todesstunde. Doch ich biss mir auf die Lippen. Was die Geschichten ihres Gottes angingen, kannte sie sich besser aus, das hatte sie stets bewiesen.
    »Wir wollten dich retten, dich aus dem Kerker holen«, flüsterte ich. »Doch die Bewachung war zu stark. Aber wir werden es weiter versuchen.«
    »Das braucht ihr nicht«, entgegnete sie. »Nur wenn ich den Richtern zeige, dass sie im Unrecht sind, werden sie die Vorwürfe gegen mich fallenlassen.«
    »Die Engländer hassen dich«, hielt ich dagegen, denn die vergangenen zwei Jahrhunderte hatten mich gelehrt, dass Richter nicht immer Recht
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