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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus
Autoren: Andreas Maier
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hinabstieg, irgendeine Person, mein Vater, meine Mutter, mein Onkel J., ein Schemen, der gegen das Kellerlicht dünner wurde, als gehe er dort unten seinem Verschwinden entgegen. Wenn er um den Treppenknick verschwunden war, war er weg, nicht anders, als sei er endgültig dort unten verloren und ausgelöscht wie in einer Vernichtungsmaschine. Einige Minuten später tauchte wieder ein Schemen auf, wurde voluminöser, der Betreffende kam wieder zur Welt oder war auferstanden, jetzt vielleicht mit einem Bierkasten oder einer Weinflasche oder einem Wäschekorb in den Händen; die Lampe war oberhalb des Treppenabsatzes so angebracht, daß derjenige, der emporstieg, eine Aura um seinen Kopf bekam und auf einer bestimmten Stufe der Treppe einen Heiligenschein hatte. Dann war die Figur wieder im Foyer angekommen. Das letzte,was geschah, war, daß schlagartig das Licht wegfiel und der Kellerabgang, eben noch ausgeleuchtet bis in jeden Winkel, wieder in Dämmerung und weiter unten in Schwärze lag. Daß die Ursache dafür ein Lichtschalter war, den die betreffende Person betätigt hatte, dürfte ich damals kaum begriffen haben. Vermutlich kam mir alles wie eine Naturgesetzlichkeit vor, die ich anstaunte wie die Sagen und Märchen, die man mir erzählte.
    Anders war es, wenn jemand in den ersten Stock emporstieg. Dann stieg er in jenes diffuse Licht, das von oben kam und immer heller wurde. Das war der Aufstieg in den Himmel, dort oben im ersten Stock wurde man von einer Lichtatmosphäre aufgenommen wie bei einer Verklärung. Diese Verklärung lag übrigens allein daran, daß dort oben der Treppe gegenüber ein großes Fenster eingelassen war und die danebenliegenden Türen, die auf ein großes Zimmer nach Süden gingen, meist geöffnet waren. Unten im Foyer gab es nur eine dunkle Milchglasscheibe, auch waren die Türen der anderen Räume immer verschlossen, den ganzen Flur entlang. Wenn jemand hinaufging, hatte ich keine Angst um ihn, auch wenn er, etwa wie unsere Nähfrau Däschinger, dann stundenlang nicht mehr herunterkam. (Frau Däschinger saß ganze Nachmittage dort oben und nähte vor sich hin in einem großen, hellen Balkonzimmer.) So war das Foyer ein manichäischer Apparat, der die Welt in Licht und Dunkel teilte, mit allen Konnotationen wie erhaben einerseits, unheimlich andererseits, vielleicht auch gut und böse et cetera. Auf diese Weise schuf mir das neue Haus seine ganz eigene Sagenwelt. Noch heute sind Besucher regelmäßig erstaunt, wenn sie unser Foyer zum ersten Mal betreten und den Kellerabgang vor sich sehen. Um wieviel mehr muß es mich, das Kleinkind, erstaunt haben.
    Vor dem Umzug hatte ich in einer anderen Welt gelebt. Da war der Kurpark in Bad Nauheim, in dem ich sehr oft gewesen sein soll, das Haus meiner Großmutter in der Uhlandstraße, wo wir vor dem Umzug in einer kleinen Dachzimmerwohnung gelebt hatten, die alte Wohnung meiner Urgroßmutter, in der ich mich meistens aufgehalten haben soll. Diese Welt, meine erste, war die Welt meiner Großeltern und Urgroßeltern. Noch mit fünf, mit sieben Jahren war ich immer lieber im Haus der Großmutter oder bei der Urgroßmutter. Vielleicht fällt mir deshalb immer zuerst, wenn ich an unser Haus denke, dieses Bild mit dem Foyer ein, weil es den Übergang markiert, den ich damals erlebte, den Übergang zwischen der alten Welt und der neuen. Ich sitze im Vorraum, kann noch nicht sprechen, vielleicht ist meine Urgroßmutter nur kurz in die Küche oder an die hintere Garderobe gegangen, das sind keine acht Meter, aber in dem Augenblick, daich dort sitze (wenn es Herbst ist, kommen die kalte Luft und das Oktober- oder Novemberlicht durch die offene Tür hinter mir mit hinein), schließt sich der Raum um mich und hebt mich in seinen geometrischen, weiten, leeren Kosmos. Ich stelle es mir wie ein Bild von Paul Delvaux vor. Daß meine Urgroßmutter nur um die Ecke gegangen ist und in wenigen Sekunden wieder erscheinen wird, weiß ich nicht, dieser Gedanke, diese Ahnung kommt in dem Bild nicht vor.
    Das Haus war damals neu gebaut worden auf dem Grundstück unseres ehemaligen Apfelgartens. Innen war es noch kaum eingerichtet, ich vermute, das einzige, was in der langen Flucht des Foyers vorhanden war, war die vordere Garderobe, ein Gestell aus schwarzgestrichenem Metall mit ausladenden Haken daran, die für mich in den folgenden Jahren stets etwas Furchterregendes hatten, denn sie erinnerten mich an die Haken bei unserem Fleischer, dem Metzger Blum. Die Dachwohnung
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