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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder
Autoren: Serena Mackesy
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des Reizes, Teil des Grunds, warum ich mir von allen Verehrern, die ich hatte, ausgerechnet ihn ausgesucht habe: Weil er es zu etwas bringen würde. Weil wir es gemeinsam zu etwas bringen würden. Und was passiert? Ich heirate einen Mann, der mir helfen soll, reich zu werden, ich lege meinen Ehrgeiz in die Hände eines anderen, und jetzt hat er Geld, und ich verarme, verschulde mich und werde am Ende von Sozialhilfe abhängig sein.
    Sie schiebt den Gedanken beiseite. Ich kann mir kein Selbstmitleid leisten. Muss optimistisch sein. Das ist das Einzige, was mir bleibt.
    »Und …«, sie macht eine ausladende Handbewegung und deutet auf den Raum, »machen Sie sich keine Sorgen, das alles hier Feriengästen zu überlassen? Die sind nie sonderlich vorsichtig, und man weiß ja nie, um wen es sich handelt … die könnten ja mit einem Umzugslaster vorfahren.«
    »Na ja, das ist einer der Gründe, warum wir eine Haushälterin brauchen«, antwortet er. »Um ein Auge darauf zu haben. Aber keine Sorge. Sie sind nicht wirklich für ein Haus voller kostbarer Antiquitäten verantwortlich. Das sind alles Kopien. Wir haben das meiste als Restposten in Indonesien gekauft und in einem Container hierher bringen lassen.«
    »Aber die Gemälde?«
    »Die sind gut, nicht wahr? Natürlich alles Familienerbstücke. Allerdings auch keine Originale. Sie wären überrascht, wie überzeugend man heutzutage mit dem Computer Bilder auf alt trimmen kann. Nur wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Pinselstriche nicht wirklich auf die Leinwand aufgetragen sind.«
    Sie tritt nahe an ein riesiges Porträt eines Gutsherrn aus dem achtzehnten Jahrhundert heran, der ein Jagdgewehr über der Schulter und einen eckigen Filzhut auf dem Kopf trägt und zu dessen Füßen ein übergewichtiger Hund sitzt. Der Gutsherr steht, wie sie bemerkt, in den Feldern, über die sie gerade gefahren ist; Rospetroc, winzig im Hintergrund, ist von einer ganzen Ansammlung von Eiben umgeben, wo heute nur noch eine einzige steht. »Donnerwetter«, sagt sie.
    »Wir haben festgestellt, dass den Leuten Porträts gefallen. Die haben sie lieber als Landschaften und solche Sachen. Vermittelt ihnen ein stärkeres Gefühl von Authentizität.«
    »Ja, aber mir leuchtet ein, warum Sie ihnen die Originale nicht anvertrauen wollen.«
    »Genau. Wenn mit denen etwas passieren würde, wäre es, als würde jemand die Grabsteine der Familie zerstören. Dieser Kerl hängt im Original im Haus meiner Eltern …« Er korrigiert sich, wie er es nach drei Jahren noch immer tun muss. »… im Haus meiner Mutter.«
    »Wer ist das?«
    »Ein anderer Tom Gordhavo. Mein … ich muss überlegen, wie viele Ur-, Ur- ich bei ihm voransetzen muss.«
    »Dann hat er also hier gelebt?«
    »Nein. Dieses Haus hat der Familie meiner Mutter gehört. Die Gordhavos haben das große Haus besessen.«
    Bridget fragt sich, wie groß das große Haus sein muss, wenn dieses hier nicht als groß gilt.
    »Und warum wohnt kein Mitglied der Familie hier, wenn ich fragen darf? Wie können Sie den Gedanken bloß ertragen, ein Haus wie dieses an Fremde zu vermieten?«
    Er hat nicht die Absicht, ihr die ganze Geschichte zu verraten. Schließlich ist seit Generationen bekannt, dass das Dienstpersonal zu Aberglauben neigt und sofort anfangen wird, irgendwelche Dinge zu sehen, wenn man ihnen davon erzählt. Seit dem Krieg ist es ihnen nicht mehr gelungen, eine Haushälterin aus der unmittelbaren Umgebung zu rekrutieren, und das trotz der ständigen Klagen, dass es hier zu wenig Arbeitsplätze gibt und die Zuziehenden die Leute vom Land vertreiben.
    »Die Familie ist nicht mehr so groß wie früher«, erklärt er. »Und das hier ist das abgelegenste unserer Häuser. Es war sinnvoll, keinen von uns meilenweit von all den anderen fortzuschicken.«
    Sie akzeptiert das ohne Murren.
    »Ihnen macht die Abgeschiedenheit doch nichts aus, oder?«, fragt er. »Sie können zu allen Nachbarn gehen, und das Dorf ist nur ein paar Meilen entfernt.«
    »Um ehrlich zu sein, das klingt himmlisch, wenn man eine Zeit lang in London gelebt hat«, erzählt sie ihm aufrichtig und denkt an die übertrieben geschminkten Huren, die in ihrem Abschnitt der Streatham Street auf den Strich gehen.
    »Weil wir nämlich ein paar Katastrophen mit Haushälterinnen erlebt haben, die aus London gekommen sind«, sagt er. »Die denken alle, sie würden mit der Einsamkeit zurechtkommen, aber ich glaube nicht, dass viele Leute begreifen, was das wirklich bedeutet. Der
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