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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder
Autoren: Serena Mackesy
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alten gelblich braunen Topf ein riesiges Gesteck aus Strohblumen und Distelblüten prangt. Die haben schon bessere Tage gesehen, denkt er. Die stehen schon mindestens seit zehn Jahren da.
    »Ach, ja?«
    »Ja. Ich hatte einen Laden an Lavender Hill. In London«, fügt sie hinzu, als mache sie sich Sorgen, er könnte überhört haben, dass sie ihr Geschäft in der Hauptstadt geführt hat. »Allerdings hatte ich meist im Südwesten der City zu tun. Blumen für Sitzungssäle und Empfangsbereiche, solche Sachen. Partys. Hochzeiten. Wöchentliche Lieferungen, um …« Sie hält inne und überlegt, ob das die richtige Ausdrucksweise gegenüber einem reichen Mann ist, der er ja offensichtlich sein muss, beschließt aber, dass er nicht der Typ ist, der Prinzessinnengehabe gutheißt. »… um die Damen, die ein Essen geben, davor zu bewahren, dass sie tatsächlich etwas tun müssen … Sie wissen schon. Eine Zeit lang hatte ich drei Angestellte und einen Fahrer. Es lief ziemlich erfolgreich, denke ich. Für ein kleines Geschäft.«
    »Verstehe. Und warum führen Sie es nicht weiter, wenn ich fragen darf?«
    »Ich habe jede Menge Gründe.«
    Sie fährt mit dem Finger über den Tisch und hinterlässt einen langen Streifen im Staub.
    »Die letzte Haushälterin ist vor einem Monat gegangen«, erklärt er hastig, »ein bisschen überstürzt. Und ich glaube, dass sie ihren Job schon eine Weile davor nicht sonderlich gut gemacht hat.«
    Sie reibt Zeigefinger und Daumen aneinander, und begutachtet ungerührt den grauen Schmutz auf ihren Fingerkuppen.
    »Mein Mann ist vor achtzehn Monaten gestorben«, erzählt sie ihm. Schaut in seine Richtung, um zu sehen, ob er ihr diese Lüge abkauft. Sie muss überzeugend sein, wenn das hier funktionieren soll. »Deshalb sind nur ich und Yasmin übrig. Und ein Geschäft zu führen, lässt sich mit dem Dasein einer alleinerziehenden Mutter einfach nicht vereinbaren. Vor allem kein solches Geschäft. Die Fahrt um fünf Uhr morgens zum New Covent Garden passt wirklich nicht mit den normalen Öffnungszeiten von Kindergärten zusammen.«
    Es verblüfft Tom immer wieder, wie Menschen allem Anschein nach so gelassen über einen Trauerfall reden können. Sie kann kaum älter als fünfunddreißig sein, schätzt er, trotzdem redet sie über ihr Witwendasein ohne ein Anzeichen jener Wut, die ihn, wie er weiß, erfassen würde, wenn er in der gleichen Lage wäre. Er hat es auch bei seiner Mutter festgestellt: Sie schien den Tod seines Vaters mit einer Gelassenheit hinzunehmen, die er selbst nach drei Jahren nicht aufbringen konnte. Und dennoch, glaubt er, gibt es wahrscheinlich keinen Menschen auf der Welt, der vermuten würde, was er empfindet, wenn er einen Ausblick genießt, der auch seinem Vater gefallen hätte. Oder wenn er sich nach dem Rat seines Vaters sehnt, wenn er am Sonntag die Straße nach Penwithiel hinauffährt, um dort zu essen, wie es sein Vater sein ganzes Erwachsenenleben hindurch getan hat, und sich wieder einmal daran erinnert, dass er keine Geschwister hat. Manchmal wird er dann von einer so starken Woge der Traurigkeit erfasst, dass er fürchtet, sie könnte ihn in die Tiefe reißen. Liegt sie nachts wach, fragt er sich, und weint um ihren verstorbenen Mann? Oder ist ihr Leben jetzt so schwer, so sehr damit ausgefüllt, über die Runden zu kommen, dass sie gar keine Zeit für Emotionen hat? Sie sieht jedenfalls so aus, als habe das Leben sie abgehärtet. Man kann leicht erkennen, dass sie einmal hübsch war mit dieser langweiligen Wuschelfrisur Marke Eigenbau, und dass sie es wahrscheinlich wieder sein könnte; es ist nur schwierig, sich auszumalen, wie dies zu erreichen wäre.
    »Tut mir leid«, sagt er wenig überzeugend. »Es muss schwer für Sie sein.«
    Bridget zuckt mit den Achseln. »So etwas passiert«, antwortet sie. »Ich glaube nicht, dass viele von uns das Leben führen, das wir mit fünfzehn für uns erträumt haben.«
    »Wohl kaum. Mit fünfzehn wollte ich unbedingt Popstar werden.«
    Sie lacht. »Und ich war überzeugt, Model zu werden.«
    Unausgesprochen hängt zwischen ihnen: Aber nur einer von uns hat am Ende so viel Geld.
    Was für eine Ironie, denkt sie. Geld zu haben, gehörte für Kieran und mich eindeutig zum Plan. Wir haben den Yuppie-Traum verfolgt. Er wollte es in der City zu etwas bringen, es aufs Börsenparkett schaffen, nicht für immer im Hintergrund arbeiten, und ich wollte Filialen eröffnen. Der Oliver Bonas der Blumenarrangements sein. Das war ein Teil
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