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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder
Autoren: Serena Mackesy
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deutlich, als sei es helllichter Tag. Sie brennt. Glüht grünlich. Und da ist etwas – etwas – auf ihrem Kleid. Während ich geschlafen habe, sind die gekommen und haben kochendes Wasser über mich geschüttet. Wo sind sie? Warum kann ich sie nicht sehen? Oh, mein Gott, tut das weh! Das tut so weh! Es verbrennt mir die Haut!
    Und sie krallt sich fest. An sich selbst, an ihrem feuchten Kleid. Krallt sich in die Haut, die sich so verändert hat. Was ist das? Das soll von mir runter! Weg damit!
    Ein kleines Gossenkind auf einem verlassenen Dachboden im Bodmin Moor. Im Dunkeln. Sie reißt die dünnen Hüllen von sich, wirft sie durch den Raum, sodass sie in der Ecke landen, sie schreit und schreit, aber es kommt kein Ton heraus. Weg damit! Weg damit!
    Und dann wird es ihr mit einem Schlag klar. Sie weiß ganz genau, ohne jeden Zweifel: Es gibt kein Entrinnen. Da ist keine Wärme. Da sind keine Leute. Da bin nur ich. Ich war immer schon allein. Und jetzt sterbe ich.
    Mit letzter Kraft kriecht Lily in die Ecke und rollt sich auf der Seite zusammen wie ein ungeborenes Baby. Mit entspanntem Gesicht liegt sie da und starrt in die tiefe Dunkelheit.
    Ich hasse sie. Ich hasse sie. Alle. Ich haue nicht ab. Nicht jetzt. Ich bleibe hier und werde ihr jeden Tag zur Hölle machen. Ich werde mich rächen. An jedem von ihnen. An allen … ich hasse sie … alle …

1
    Unmittelbar bevor sie verschwand, hat sie Bohnen mit Toast gegessen. Der Zustand der Küche hätte den Eindruck vermitteln können, sie sei einfach vom Tisch aufgestanden und in ein anderes Zimmer gegangen, um das Telefon abzunehmen, bis auf die Tatsache, dass die Essensreste seit zwei Wochen auf dem Tisch standen, die Pfanne ungespült im Spülbecken lag und das Brot in seiner Plastiktüte auf der Arbeitsfläche vor sich hin schimmelte.
    Der Raum riecht nach Moder und Zucker.
    Zum Glück, denkt er, hat sie es nicht im Sommer gemacht; immerhin schwirren jetzt keine Fliegen herum. Doch für jemanden, der beim Schlachten von Vieh nicht mit der Wimper zuckt, ist er erstaunlich zart besaitet, und bei dem Gedanken, den Teller und die Pfanne zu spülen, wird ihm ganz flau im Magen.
    Tom Gordhavo mag Rospetroc nicht. Obwohl er weiß, wie viel Arbeit es bedeutet, den Staub in Schach zu halten, macht es auf ihn stets einen staubigen Eindruck. Und er hat, wenn er hier ist, immer irgendwie den Eindruck, das Haus beobachte ihn, als stehe, in welchem Raum er sich auch aufhält, jemand direkt hinter der Tür und warte auf den geeigneten Augenblick.
    Er zieht sich die Gummihandschuhe an und reißt eine frische schwarze Tüte von der Rolle, die er mitgebracht hat. Mit vor Ekel verzogenem Mund nimmt er den Teller, an dem Messer und Gabel wegen der dicken Schimmelschicht richtig festkleben, und wirft das Ganze in den Müllsack. Er braucht nicht lange und hat nicht die Absicht, sich hier länger aufzuhalten als unbedingt notwendig.

2
    Sie kommt zwanzig Minuten zu früh, aber hier steht schon ein alter blauer Fiesta auf dem bemoosten Pflaster vor dem Gartentor. Bridget parkt daneben, stellt das Auto so ordentlich ab, als seien auf dem Pflaster Linien gezogen. Das in einen alten Steinbogen eingebaute schwere Tor aus lackiertem Metall ist nur angelehnt, und die Haustür dahinter steht trotz des starken Windes weit offen.
    »Na, die machen sich offenbar um die Heizkosten keine Sorgen«, sagt sie laut. Bridget ist in letzter Zeit so viel allein, dass sie, wie viele einsame Menschen, dazu übergegangen ist, Selbstgespräche zu führen. Andernfalls würde ihr tagelang nichts als Kindersprache über die Lippen kommen. Yasmin ist wunderbar, aber sie ist in einem Alter, in dem sie Unterhaltungen über Angelegenheiten von Erwachsenen quittiert, indem sie die Augen verdreht und tiefe Seufzer ausstößt.
    Jetzt, da sie genauer hinsieht, bemerkt sie, dass der Garten dringend winterfest gemacht werden muss, denn er ist zwischen den Armen der hufeisenförmigen Gebäudeflügel verwildert wie in einem viktorianischen Schauerroman. Struppige Lavendelbüsche hängen über die Steinplatten des Weges, der zur Haustür führt. Dunkle Lorbeerbüsche wuchern unter dicken steinernen Fenstersimsen. Hohe, mit winterkahlen Weinranken bewachsene Steinmauern bilden die Grenze zum Bodmin Moor. Eine alte Schaukel, von der ein Seil verrottet und gerissen ist, baumelt am Ast einer Eibe.
    Bridget findet den Anblick schön.
    Sie merkt plötzlich, wie nervös sie ist, seit sie nun endlich angekommen ist. Die lange Fahrt
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