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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder
Autoren: Serena Mackesy
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Verdunkelungsvorhänge mit hochgelegten Füßen vor dem Kamin. Während das Feuerholz im Rest des Hauses streng rationiert wird, brennt in Blakemores Arbeitszimmer immer ein Feuer. Lily hat es jetzt vor Augen, wie es warm durch die Fensterscheibe der Küchentür im Ostflügel leuchtet. Ich werde mich entschuldigen, denkt sie. Es ist mir egal. Ich werde mich entschuldigen, und sie wird mich am Feuer sitzen lassen. Es hat keinen Sinn, heute Abend abzuhauen.
    Ich gehe morgen.
    Die Tür ist verschlossen.
    Sie drückt sich dagegen, hält sich dadurch aufrecht, dass sie das Handgelenk zwischen Klinke und Tür steckt. Hebt die andere Hand, um zu klopfen. Das Klopfen ist in der Spülküche dahinter schwach zu hören, dringt aber nicht bis in den Hauptteil des Hauses vor.
    »Lasst mich rein!«, ruft sie. Ihre Stimme klingt schwach, weit entfernt. »Es tut mir leid! Lasst mich rein!«
    Rospetroc wendet sich ab, zeigt ihr die kalte Schulter.
    »Es tut mir leid!«, ruft sie wieder und kratzt am verblassten türkisfarbenen Lack. »Ich bin jetzt brav! Lasst mich rein!«
    Und schließlich dämmert es ihr: Sie wird nicht wieder hereingelassen. Sie ist für immer ausgeschlossen. Sie kann ihre Hände und Füße nicht mehr spüren, aber irgendjemand sticht unentwegt mit einem Spieß auf sie ein.
    Ich muss irgendwo Schutz suchen.
    Sie blickt sich um. Die Schuppen sind verschlossen. Die schließen sie nie auf, es sei denn, sie bestrafen irgendjemanden. Pearl ist einmal zwei Stunden ins alte Waschhaus gesperrt worden, kam schreiend wieder heraus.
    Ich muss. Ich muss. Ich muss irgendwo Schutz finden.
    Auf der anderen Seite des Rasens, am Rand des Teichs, steht das Bootshaus. Da war sie schon einmal. Es ist alt und baufällig und seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt worden, aber es hat immerhin ein Dach und Wände.
    Besser als gar nichts. Besser als hier draußen im Wind.
    Das Überqueren des Rasens fällt ihr schwer, weil frischer Schnee über dem alten liegt. Ihre Füße brechen durch den Harsch unter der Neuschneedecke knietief ein. Jeder Schritt fällt ihr noch schwerer als der vorhergehende. Als sie beim Bootshaus ankommt, muss die Tür, die schwer ist und lose in den Angeln hängt, angehoben werden, und sie muss mit der Schulter fest dagegen drücken, bis sie endlich nachgibt.
    Aber sie ist drin, und es ist stockdunkel. Um sie herum namenlose Schatten, massiv und geduckt; das sanfte Tropfen von Wasser in Wasser. Über ihr eine niedrige Decke. Ja, denkt sie, weil mit der Körpertemperatur auch das logische Denken schwindet, ein Heuboden. Dort oben ist bestimmt Heu. Ich kann mich in das Heu kuscheln und mich aufwärmen.
    Zumindest zittere ich nicht mehr.
    Sie fasst mit einer Hand an die Leiter, findet keinen Halt. Sie schlingt den Unterarm um die Leiterwange und stellt einen Fuß auf die Sprosse. Es fühlt sich an, als stünde sie auf glühend heißem Glas. Lily schreit beinahe auf, aber sie hat nicht die Energie dazu. Hinauf. Ich muss da hinauf. Sie kommt nur elend langsam voran. Nach jeder Sprosse muss sie anhalten, den Kopf gegen die Sprossen lehnen und durchatmen, fünf, zehn, fünfzehn Mal, während sie darauf wartet, dass ihr Herz sich beruhigt. Komm, weiter, komm, weiter.
    Endlich oben. Ein Arm, dann der andere, liegt flach auf den Brettern, schließlich der Oberkörper, die Hüfte, die schmerzenden Füße. Eine Träne stiehlt sich aus ihrem Auge, tropft auf den Boden.
    Der Speicher ist leer. Die Vorstellung von Unmengen von warmem Heu zerplatzt wie eine Seifenblase. Hier ist nichts: nur ein paar alte Jutesäcke und ein Stück Tau.
    Jetzt würde sie gerne weinen: Selbst die lieblose Lily würde gerne weinen, aber es kommt keine Träne. Sie kriecht – schleift taube Gliedmaßen – über den Boden, kämpft, um zu den Säcken zu gelangen. Kann sich nicht einmal mehr richtig erinnern, wie sie hierher gekommen ist, nur dass sie müde ist, so unglaublich müde, dass sie schlafen möchte. Sie rollt sich unter den Säcken zusammen, ein Bündel Haut und Haare, bemerkt, dass der Boden unter ihrem Körper warm zu sein scheint.
    Lügen.
    Lügen.
    Tatsächlich. Mir wird wärmer.
    Der Boden unter ihr scheint beheizt zu sein. Was für ein Glück. Wärme steigt vom Boden auf. So sehr, dass es fast unangenehm ist.
    Hoffentlich funktioniert es. Hoffentlich wird mir warm.
    Oh, mein Gott. Das brennt. Das glüht ja.
    Neunundzwanzig Grad. Sie setzt sich plötzlich kerzengerade auf. Ich brenne. Sie hält die Hand vor sich und sieht sie klar und
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