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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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Hättest Du denn nicht ein wenig Besitz ergreifender sein können? Ein wenig Eifersucht hätte mich wahrlich gefreut. Monsieur Vincent änderte sein Verhalten, als er merkte, dass ich nicht mit ihm reden wollte. Er gab sich äußerst höflich, fast ehrerbietig. Er eilte an meine Seite, um mir mit den Einkäufen oder mit irgendwelchen Paketen zu helfen, oder reichte mir die Hand, wenn ich zufällig aus einer Droschke stieg. Er war wirklich sehr liebenswürdig.
    Nach und nach schwand mein Misstrauen. Sein Charme wirkte langsam, aber sicher. Ich gewöhnte mich an seine Herzlichkeit, an seine Grüße. Und ich begann, darauf zu warten. Ach, Liebster, wie eitel wir Frauen doch sind! Wie dumm! Und so sonnte ich mich lächerlicherweise in der ständigen Aufmerksamkeit dieses jungen Mannes. Wenn ich ihn mal einen Tag lang nicht sah, fragte ich mich, wo er war. Und wenn ich ihn erblickte, stieg mir die Röte ins Gesicht. Ja, er verstand sich auf Frauen. Und ich hätte es besser wissen müssen.
    Als es geschah, warst Du nicht im Haus. Das wusste er wohl. Du warst mit unserem Notar unterwegs, um außerhalb der Stadt ein Anwesen zu besichtigen, und würdest erst am folgenden Tag zurückkommen. Germaine und Mariette standen noch nicht in unseren Diensten. Tagsüber half mir ein Mädchen im Haushalt, abends war ich mit Violette allein.
    An jenem Abend klopfte er, als ich gerade mein einsames Abendessen beendet hatte. Während ich mir mit der Serviette die Lippen abtupfte, blickte ich aus dem Fenster auf die Rue Childebert und sah ihn mit dem Hut in der Hand vor dem Haus stehen. Ich wich vom Fenster zurück. Was wollte denn der? Ich ging nicht hinunter, um ihm zu öffnen, so charmant er in letzter Zeit auch gewesen sein mochte. Schließlich ging er wieder, und ich dachte, ich sei sicher. Doch ungefähr eine Stunde später, es war schon dunkel, vernahm ich wieder ein Klopfen. Ich wollte gerade zu Bett gehen. Ich trug mein blaues Nachtkleid und meinen Morgenmantel. Unsere Tochter schlief oben in ihrem Zimmer. Das Haus war still und dunkel. Ich ging hinunter. Die Tür öffnete ich nicht, ich fragte nur, wer da sei.
    »Ich bin’s – Monsieur Vincent. Ich wollte nur mit Ihnen reden, Madame Rose, nur eine Minute. Bitte machen Sie auf.«
    Seine Stimme klang nett und freundlich, wie immer, wenn er in den letzten Wochen mit mir gesprochen hatte. Er bezirzte mich. Ich öffnete die Tür.
    Er schlüpfte ein wenig zu schnell herein. Sein Atem roch stark nach Alkohol. Er sah mich an wie ein Tier seine Beute. Dieses Glitzern in seinen Augen! Die nackte Angst fuhr mir in die Glieder. Und da wusste ich, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war, ihn hereinzulassen. Mit höflicher Konversation verschwendete er keine Zeit – mit einer widerwärtigen, begierigen Bewegung langten seine sommersprossigen Hände nach mir, seine Finger gruben sich brutal in meine Arme, sein Atem schlug mir heiß ins Gesicht. Ich schaffte es, mich mit einem Aufstöhnen von ihm loszumachen und die Treppe hinaufzulaufen, ein stummer Schrei zerriss meine Kehle. Aber er war schneller. Er packte mich am Nacken, als ich in den Salon eilen wollte, und wir fielen auf den Teppich, seine verhassten Hände auf meiner Brust, sein feuchter, glitschiger Mund auf meinen Lippen.
    Ich wollte ihn zur Vernunft bringen, ich versuchte ihm klarzumachen, dass das ganz einfach unmöglich war, ich sagte ihm, meine Tochter würde oben schlafen und Du würdest bald zurückkommen, er könne das nicht tun. Er sollte das nicht tun.
    Es war ihm gleichgültig. Er hörte gar nicht zu. Er überwältigte mich. Er drückte mich auf den Boden. Ich hatte Angst, meine Knochen würden unter seinem Gewicht brechen. Ich will, dass Du weißt, dass ich nichts gegen ihn ausrichten konnte. Rein gar nichts. Ich wehrte mich. Ich kämpfte so hart, wie ich konnte. Ich zog ihn an seinen fettigen Haaren, ich wand mich und trat, ich biss und spuckte. Doch wegen Violette verkniff ich es mir, zu schreien. Der Gedanke, dass sie heruntergekommen wäre und alles gesehen hätte, war mir unerträglich. Vor allen Dingen wollte ich sie schützen.
    Als ich merkte, dass mein Kampf vergeblich war, blieb ich reglos liegen wie ein Stein, wie eine Statue. Ich weinte, ich weinte die ganze Zeit, Liebster. Er hatte erreicht, was er wollte. Ich träumte mich im Geiste von diesem schrecklichen Moment weg. Ich erinnere mich, dass ich an die Decke und ihre dünnen Risse starrte und darauf wartete, dass diese Marter vorüberging. Ich roch den
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