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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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immer eine süße getigerte Katze umhertollte. Weg die rosa Geranien an den Fenstern, die fröhlichen Kinder, die durch die Straße rannten, alles weg.
    Hier unten in den verborgenen Winkeln unseres Hauses fühle ich mich sicher im flackernden Schein der Kerze, der große Schatten auf die staubigen Wände um mich herum wirft. Hin und wieder huscht eine Maus vorbei. Wenn ich es mir hier gemütlich mache, verliere ich jedes Zeitgefühl und weiß nicht, wie viele Stunden oder Tage vergangen sind. Das Haus hält mich in seinem schützenden Griff. Normalerweise warte ich, bis die Schläge verstummt sind. Wenn alles still ist, krieche ich wieder heraus und strecke meine steifen Glieder aus.
    Wie könnte ich dieses Haus jemals verlassen, Liebster? Dieses hohe quadratische Haus ist mein Leben. Jedes Zimmer erzählt eine Geschichte. Meine Geschichte. Deine Geschichte. Ich muss diese Geschichten aufs Papier bringen, ich empfinde diesen schrecklichen, unstillbaren Drang. Ich will alle Geschichten ausführlich niederschreiben, auf dass die Worte ihr Eigenleben bekommen, auf dass es sie wirklich gibt. Auf dass die Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner für immer am Leben bleibt. Auf dass wir nicht vergessen werden. Ja, wir, die Bazelets aus der Rue Childebert. Wir lebten hier, und trotz der Knüppel, die das Schicksal uns in den Weg legte, waren wir dort glücklich. Und niemand, hörst Du, niemand kann uns das je nehmen.

Erinnerst Du Dich an die ersten Schreie der Wasserträger kurz nach Tagesanbruch? Sie kamen, wenn wir oben noch im Bett lagen und langsam aus dem Schlaf erwachten. Die stämmigen Burschen tappten unsere Straße hinunter und überquerten die Rue des Ciseaux, im Schlepptau einen müden Esel, beladen mit Fässern. Das monotone Rascheln der Straßenfegerbesen und das frühe Geläut der Kirche, so nah, als würde in unserem Schlafzimmer die Glocke läuten. Und die nahe Saint-Sulpice-Kirche bimmelte als wohlklingendes Echo zurück. Ein neuer Tag erwachte in unserer kleinen Straße. Der morgendliche Gang zum Markt mit Germaine, wenn das Straßenpflaster noch sauber war, die Kloaken über Nacht geleert worden waren, der kleine Spaziergang die Rue Sainte-Marguerite hinunter – nach und nach öffneten die Läden, die Eisengitter schepperten –, weiter durch die Rue Montfaucon und in die große, quadratische Markthalle voller verlockender Düfte, die Auslagen eine Augenweide. Als Violette klein war, nahm ich sie immer mit, wie auch meine Mutter mich als Kind mitgenommen hatte. Den Kleinen hatte ich auch zweimal die Woche dabei. (Ich bin im Moment nicht in der Lage, über den Kleinen zu schreiben. Vergib mir, Herr! Was bin ich für ein Feigling.) Du und ich, wir wurden zwischen der schwarzen Kirchturmspitze von Saint-Germain und den Türmen von Saint-Sulpice geboren und wuchsen dort auf. Wir kannten dieses Viertel wie unsere Westentasche. Wir wussten, dass sich in heißen Sommern der beißende Gestank des Flusses durch die Rue des Saints-Pères zog. Wir wussten, dass der Jardin du Luxembourg im Winter von einem Mantel aus glitzerndem Raureif bedeckt war. Dass der Verkehr entlang der Rue Saint-Dominique und Rue Taranne immer dichter wurde, dass vornehme Damen in Kutschen mit Wappen ausfuhren, dass Droschkenkutscher mit überladenen Marktkarren und eiligen, überfüllten Omnibussen wetteiferten. Nur Reiter im Sattel konnten sich ihren Weg durchs Gedränge bahnen. Erinnerst Du Dich an den Rhythmus unserer frühen Tage? Den Tagesablauf, der sich auch nicht änderte, als ich Ehefrau, Mutter und schließlich Witwe wurde. Trotz der Unruhen, die in unserer Stadt verschiedentlich wegen politischer Krisen und Aufstände ausbrachen, kam unsere Lebensführung, mein Alltag aus Kochen, Putzen, Haushalt nie aus dem Tritt. Als Maman Odette noch lebte – erinnerst Du Dich, wie pingelig sie war in Bezug auf den Geschmack der Bouillabaisse oder die Qualität der Schnecken, selbst als der Mob durch die Straßen fegte? Und das Theater mit ihrer Wäsche – immer musste sie perfekt gestärkt sein. Und dann der Abend. Essen um sechs Uhr. Nacheinander wurde den Straßenlampen von dem pfeifenden Laternenanzünder Licht gegeben. An Winterabenden setzten wir uns an den Kamin. Germaine brachte mir Kamillentee, und Du führtest Dir gelegentlich ein Gläschen Likör zu Gemüte. Wie ruhig, wie friedlich diese Abende waren. Der Schein der Lampe flackerte leicht und füllte den Raum mit einem besänftigenden rosigen Schimmern. Du warst auf Deine
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