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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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liebte seinen ganz eigenen Geruch, eine Mischung aus Bienenwachs, frischer Wäsche und guter, einfacher Küche.
    Doch es gibt nicht nur zärtliche, heitere Erinnerungen an dieses Haus. Leider. Manche Augenblicke sind im Moment zu schwierig, um sie noch einmal zu durchleben. Ja, ich bin kleinmütig, Armand. Der Mut kommt mir immer nur tröpfchenweise. Bitte hab Geduld. Lass uns mit Folgendem beginnen:
    Bevor Violette geboren wurde, kamen wir einmal von einem Ausflug mit Maman Odette nach Versailles zurück; wir sahen, dass die Haustür aufgebrochen war. Wir rannten die Treppe hinauf und fanden alle unsere Sachen auf einem Haufen vor – Bücher, Kleider, einfach alles. Die Möbel waren umgekippt, die Küche war ein einziges Durcheinander. Schmutzige Fußspuren besudelten die Flure und Teppiche. Maman Odettes Goldarmband war weg, genauso wie mein Smaragdring und Deine Manschettenknöpfe aus Platin. Und Dein Geldversteck neben dem Kamin war ausgeraubt. Die Polizei kam. Ich glaube, ein paar Männer durchsuchten die Nachbarschaft, aber wir bekamen unsere Sachen nie wieder zurück. Ich erinnere mich, wie aufgebracht Du warst. Du ließt daraufhin ein weiteres, robusteres Schloss an der Tür anbringen.
    Noch eine traurige Erinnerung: Wenn ich mir unseren Salon vorstelle, muss ich an Deine Mutter denken. An den Tag, als ich sie zum ersten Mal traf, aber auch an den Tag, als sie starb. Acht Jahre liegen zwischen diesen beiden Momenten, dem glücklichen und dem schrecklichen. Doch, weißt Du, nun, da ich dies über dreißig Jahre danach schreibe, sind diese Momente zeitlich sehr zusammengerückt.
    Violette war damals fünf Jahre alt, ein kleiner Wildfang. Maman Odette war die Einzige, die sie zähmen konnte. In ihrem Beisein hatte sie nie Wutausbrüche. Ich frage mich, welchen Zauber ihre Großmutter auf sie ausübte. Vielleicht besaß sie ganz einfach die Autorität, die mir fehlte. Vielleicht war ich als Mutter zu weich. Zu nachgiebig. Dennoch fühlte ich mich Violette nicht mütterlich zugetan. Der Kleine war es, der mir später das Herz stahl. Ich fand mich mit Violettes Temperament ab, das sie von ihrem Großvater väterlicherseits geerbt hatte.
    Du warst an jenem Tag unterwegs, Du trafst Dich mit dem Notar der Familie in der Nähe der Rue de Rivoli und wolltest erst zum Abendessen wieder zurück sein. Violette schmollte wie üblich, ihr Gesicht war zu einer abweisenden, finsteren Miene verzogen. Nichts konnte sie an jenem Morgen aufheitern, weder ihre neue Puppe noch ein leckeres Stück Schokolade. Maman Odette saß in ihrem grünen Sessel mit den Fransen und tat ihr Bestes, um ihrem einzigen Enkelkind ein Lächeln zu entlocken. Wie geduldig und standhaft sie war! Während ich mich über meine Näherei beugte, dachte ich, ich sollte mich in meinem Verhalten als Mutter an ihrer ruhigen, unnachgiebigen und dennoch liebevollen Art orientieren. Wie machte sie das? Vermutlich durch Erfahrung. Jahrelang hatte sie mit einem launenhaften Gatten zu tun gehabt.
    Ich höre noch, wie mein silberner Fingerhut an die Nadel stieß, und höre Maman Odettes leises Summen, während sie meiner Tochter übers Haar strich, und das Knistern der Flammen im Kamin. Von draußen hörte man vereinzelt das Rumpeln einer Kutsche, tappende Schritte. Es war ein kalter Wintermorgen. Beim Spaziergang mit Violette nach ihrem Mittagsschlaf wären die Straßen eisglatt. Ich müsste sie fest an der Hand halten, und das hasste sie. Ich war siebenundzwanzig Jahre alt und hatte ein bequemes, beschauliches Leben. Du warst ein aufmerksamer, zärtlicher Mann, manchmal ein wenig geistesabwesend, und seltsamerweise schienst Du schneller zu altern als ich. Für Deine fünfunddreißig Jahre sahst Du älter aus. Deine Zerstreutheit störte mich nicht, ich fand sie sogar charmant. Manchmal vergaßt Du, wo Deine Schlüssel waren oder welchen Tag wir hatten, und Deine Mutter wies Dich immer wieder darauf hin, dass Du dieses oder jenes schon einmal gesagt oder diese oder jene Frage schon mal gestellt hättest.
    Ich stopfte eine alte Socke und war ganz auf meine Arbeit konzentriert. Maman Odette hatte aufgehört zu summen. Die plötzliche Stille veranlasste mich, den Blick auf meine Tochter zu richten. Fasziniert starrte sie auf ihre Großmutter, drehte den Kopf hin und her, um sie besser sehen zu können. Ich sah nur Maman Odettes Rücken, der sich zu dem Kind hin beugte, ihre runden Schultern in dem grauen Samtkleid, ihre breiten Hüften. Violettes Augen waren vor Neugier
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