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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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schüchternes Ding. Mit vierzehn oder fünfzehn Jahren fiel mir auf, dass Männer mich auf der Straße ansahen und ihr Blick länger auf mir verweilte, als es sich ziemte. Das machte mich erst verlegen. Am liebsten hätte ich die Arme über der Brust verschränkt und mein Gesicht unter meiner Haube versteckt. Doch dann dämmerte mir, dass das allen Mädchen widerfuhr, wenn sie zur Frau wurden. Ein junger Mann, den ich mit meiner Mutter oft auf dem Markt traf, hatte sich in mich verliebt, ein dicklicher rotgesichtiger Junge, der mir nicht gefiel. Meine Mutter fand das lustig und zog mich immer mit ihm auf. Sie war eine leidenschaftliche Schnatterliese, und ich versteckte mich oft hinter ihrem lauten Mundwerk.
    Gilbert schmunzelt, ich glaube, ihm gefällt meine Geschichte. Ich erzähle ihm, wie der große dunkelhaarige Mann mich immer wieder ansah. An jenem Tag trug ich ein elfenbeinfarbenes Kleid mit besticktem Kragen und Keulenärmeln, eine Rüschenhaube und ein Umschlagtuch. Schlicht, aber hübsch. Und ich denke, ich war wirklich recht ansehnlich, sage ich zu Gilbert. Schlanke Taille (die ich mir trotz der Jahre erhalten habe), dichtes honigblondes Haar, rosige Wangen.
    Ich wunderte mich, dass der Herr den Laden nicht verließ, sondern noch zögerte. Er wartete, bis ich meine Bestellung aufgegeben hatte, und als ich hinausging, hielt er mir die Tür auf. Er folgte mir hinaus auf die Straße.
    »Verzeihung, Mademoiselle«, sagte er leise, »ich hoffe, Sie besuchen dieses Geschäft mal wieder.«
    Er hatte eine leise, tiefe Stimme, die mir auf Anhieb gefiel. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich starrte nur auf die Maiglöckchen.
    »Ich wohne gleich hier«, fuhr er fort und deutete auf die Fensterreihe über uns. »Dieses Haus gehört meiner Familie.«
    Er sagte es mit natürlichem Stolz. Ich blickte an der hellen Steinfassade hinauf, es war ein altes, hohes, quadratisches Gebäude mit Schieferdach an der Ecke Rue Childebert und Rue d’Erfurth, direkt neben dem Brunnen. Es hatte etwas Erhabenes. Ich zählte drei Stockwerke, ein jedes mit vier Fenstern hinter grauen Fensterläden und schmiedeeisernen Geländern, mit Ausnahme der beiden Mansardenfenster im Giebel. Die Haustür war dunkelgrün gestrichen. Über dem Türklopfer in Form einer Frauenhand, die eine kleine Kugel hält, las ich den Namen »Bazelet«. (Damals wusste ich noch nicht, ja, ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass dieser Name und dieses Haus eines Tages mir gehören würden.)
    Meine Familie, sagte er. Hatte er eine Frau? Kinder? Ich spürte, wie ich rot wurde. Warum fragte ich mich solche intimen Dinge über diesen Mann? Seine durchdringenden dunklen Pupillen verursachten mir Herzklopfen. Er nahm den Blick nicht von meinem Gesicht. Dort also lebte dieser charmante Herr mit seiner »Familie«. Hinter diesen glatten Steinmauern, hinter dieser grünen Tür. Dann sah ich im ersten Stockwerk eine Frau am offenen Fenster stehen, sie blickte auf uns herunter, während wir auf der Straße standen und unsere Blumen in der Hand hielten. Sie war alt, in Braun gekleidet, ihr Gesicht war abgespannt und faltig, aber ein sympathisches Lächeln umspielte ihre Lippen.
    »Das ist Maman Odette«, sagte er mit derselben Zufriedenheit. Ich sah ihn zum ersten Mal richtig an. Er war fünf, sechs Jahre älter als ich, vielleicht auch mehr, sein Gesicht und seine Körperhaltung strahlten noch Jugend aus. Er lebte also mit seiner Mutter zusammen. Und er hatte weder eine Frau noch Kinder erwähnt. Ich sah keinen Ehering an seinem Finger.
    »Ich heiße Armand Bazelet«, sagte er und verbeugte sich galant. »Sie wohnen sicherlich in der Nachbarschaft, ich habe Sie schon früher gesehen.«
    Wieder brachte ich keinen Ton heraus. Ich nickte, meine Wangen rosiger denn je.
    »Ich meine, an der Place Gozlin«, fuhr er fort.
    Ich schaffte es, zu nicken und zu sagen:
    »Ja, ich wohne dort mit meinen Eltern und meinem Bruder.«
    Er strahlte.
    »Bitte verraten Sie mir Ihren Namen, Mademoiselle.« Er blickte mich flehentlich an. Ich musste fast über seine Miene lachen.
    »Ich heiße Rose.«
    Sein Gesicht hellte sich auf, er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Laden. Kurz darauf stand er mit einer weißen Rose wieder vor mir und reichte sie mir.
    »Eine schöne Rose für ein schönes Mädchen.«
    Ich halte inne. Gilbert neckt mich. Ich sage ihm, dass meine Mutter zu Hause wissen wollte, wer mir die Blume geschenkt hatte.
    »Etwa der liebeskranke Freier vom Markt?«,
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