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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten
Autoren: Valter Hugo Mae
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berühmt-berüchtigten Fischpunkt, von dem an das Schicksal für uns belanglos wird. Wir betrachten die Dinge mit derselben Dramatik, mit der wir sie innerhalb von Sekunden vergessen und uns aus irgendeinem anderen Grund, ohne dass wir wüssten, welchen, freudige Hoffnungen machen. Ich verstand, dass man mich in den linken Flügel bringen wollte, damit mich der Tod in kürzester Zeit niederstrecke. Es dauert nicht mehr lange, António, dachte ich, es dauert nicht mehr lange, bis sich das alles auflöst. Dann wirst du nirgendwo mehr sein. Und mein Herz schlug nur noch mühsam, und ich dachte, noch nicht, jetzt noch nicht. Nicht etwa, weil mir noch etwas gefehlt hätte, mir fehlte nichts mehr, ich wusste aber, dass man mich in den linken Flügel bringen würde, ich müsste zuerst dort hinkommen, erst danach würde ich loslassen können.
    Sie setzten mich in einen Rollstuhl und achteten darauf, meine schon ganz mageren Beine festzuhalten, damit sie nicht über den Boden schleiften oder womöglich noch unter die Räder gerieten, was mich zu Fall gebracht hätte. Sie legten mir die Hände in den Schoß, eine auf die andere, und noch sah ich sie, wie sie weiß, blass und blutleer wurden. Sie hüllten mich in eine kleine Decke, und auf der Decke legten sie mir Mariechen an die Brust, zwischen meine Brust und die Armlehne, so wie von Américo aufmerksam angeordnet. Wir fuhren mit dem Fahrstuhl ins obere Stockwerk und wir durchquerten das letzte Stück, das uns von der Klinik trennte. Eine Krankenschwester ging voran, sie öffnete die Tür zu Esteves’ Zimmer und ließ mich lächelnd vorbei, und ich wurde von einem jungen Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte, weitergeschoben. Da der Rollstuhl breit war, kam er nur in einem bestimmten Winkel durch die Tür, und das dauerte drei Sekunden, lange genug, damit ich das immer noch lebhafte Gesicht des erwartungsvollen Senhor Medeiros erkennen konnte, der sicherlich frohlockte, dass ich ihm endlich in die Falle ging. Nachdem sie mich in das Bett von Esteves und dem Spanier gelegt hatten, besuchte mich Américo. Er war traurig und vermochte mich kaum aufzumuntern. Meine Stimme erlosch, und meine Kräfte erlaubten mir nicht, ihn an sein Versprechen zu erinnern, dass ich nicht in dieses Zimmer gesteckt würde. Américo blieb weit weg von mir. Wenn sich der Körper von den Sinnen löst, ist es so, als entfernte er sich und bekäme genug Raum, um alles, was er noch besitzt, auszustoßen und fortzulassen. Ich war in Esteves’ Zimmer, um alles kennenzulernen, um den Sinn des Lebens zu erkennen, womit wir uns verteidigen müssen oder nicht. Selbst wenn es kein Jenseits gibt, nur die Erinnerung für die Lebenden, wer wir waren. Die Erinnerung und die mögliche Würde. Ich sagte zu Américo, freu dich, Junge. Du warst immer traurig, als wäre für dich schon das Leben traurig. Er antwortete, ich habe Sie sehr gern, Senhor Silva, was gäbe ich darum, Sie von Ihren Schmerzen zu befreien, von Ihren Zweifeln.
    In dieser Nacht, kurz nachdem das Licht abgeschaltet war, sagte Senhor Medeiros, stirb, du Dreckskerl, stirb. Ganz deutlich hörte ich diese Stimme, die ich schon erkannte, als sie in der nüchternen Stille des Raums widerhallte. Wieder sagte er, stirb, du Dreckskerl. Dann ging die Zimmertür auf. Es war dieselbe Schwester, die mich hergebracht hatte. Sie wühlte in ein paar Papieren, die sie sich einsteckte, sie sah nach mir, fühlte meinen Puls, lächelte, trat ein paar Schritte zurück und dann wieder nach vorn, und lächelte. Dann ging sie hinaus. Sobald wir allein waren, zurückgekehrt in die absolute Stille, nahm ich wahr, wie sich im Bett von Senhor Medeiros etwas bewegte. Es war ein langsames Rutschen in den Betttüchern, ein langsames Geräusch wie das eines Menschen, der seine Lage im Bett verändert. Ein überhaupt nicht möglicher Lärm, wenn sich Senhor Medeiros nicht bewegen können würde, wenn er wie eine richtungslose Pflanze war. Das war so, als streckte er einen Arm zu mir heraus, als er kurz verstummte und dann wieder sagte, stirb, Dreckskerl. Die Schwester kam zurück. Sie brachte einen kleinen Apparat mit, der einen Sucher und einen roten Blinker hatte, der im dunklen Zimmer einen schwachen Schimmer auf alles warf. Sie rollte den Apparat ans Fußende meines Bettes und ging wieder zur Tür, schaute hinaus, trat wieder ein und sagte, ihr könnt kommen, ihr könnt kommen. Nun tauchten ungefähr acht Leute auf. Ich hatte keinen davon je gesehen. Sie schleppten sonderbare
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