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Das Haus auf der Brücke

Das Haus auf der Brücke

Titel: Das Haus auf der Brücke
Autoren: Othmar Franz Lang
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wenn es »plup« machte, und ging nicht heim, wenn man es ihm befahl. Manchmal kehrte er mit Beute zurück. Mit zwei Limoflaschen vom Bierfahrer, einem Spielzeug vom Spielzeuggroßhändler Schulze. Aber man merkte, daß ihm etwas fehlte.
    Unser Haus war ein ganz gewöhnliches Haus geworden. Gut, zugegeben, es stand zwar auf einer Brücke, und es hatte sogar ein Fenster im Fußboden, das wir erst jetzt richtig beachteten, aber was sahen wir darin? Ein paar blöde Forellen! Nicht einmal der Fischer kam im Regen mehr zu uns. Er stand jetzt auf der neuen Brücke, warf dort seine Angel aus, und Forellen gab’s von ihm auch nicht mehr.
    In der Schule hörten mir die Klassenkameraden kaum zu. Ein Haus auf der Brücke, was war das schon! Ein paar von ihnen wohnten auch in eigenen Häusern, auf eigenen Grundstücken, mit einem Zaun rundherum und einer Gegensprechanlage, daß man ja niemandem ins Gesicht schauen mußte, wenn es klingelte.
    Mutti hätte jetzt viel Geld verdienen können, sie hatte eine Menge Angebote für Übersetzungen, aber es freute sie nicht, sagte sie.
    Wir waren allein und kriegten kaum Besuch. Nicht einmal der Alte, unser erster Besucher, kam, dem es immer bei uns so gut geschmeckt hatte.
    »Es ist, als wären wir gestorben«, sagte Mutter.

    Genau in diesen Tagen schrieben wir in der Schule einen Aufsatz. Thema: »Ein Jubiläum«. Ich dachte lange nach, denn Nachdenken kann ich immer nur langsam, schreiben geht dann schnell. Mir fiel nichts ein. Was hatte ich schon für ein Jubiläum zu feiern? Im Herbst konnte ich das siebenjährige Schuljubiläum feiern, mein Vater war bald zwanzig Jahre im Beruf, meine Eltern waren bald achtzehn Jahre verheiratet. Aber dann fiel es mir noch rechtzeitig ein. Wir feierten bald ein Jubiläum, noch dazu ein einjähriges. Ich schrieb:
    »Ein Jubiläum.
    Bei einem Jubiläum kommt es nicht auf die Jahre an, sondern auf die Bedeutung, die man einem Ereignis beimißt. Um ein Jubiläum feiern zu können, braucht man meist zwei Dinge. Ein Ereignis von einiger Bedeutung und die Erinnerung daran. Man feiert nicht, daß man vor zehn Jahren Spinat mit Spiegelei gegessen hat.«
    Diesen Einfall fand ich prächtig. Ich grinste, was der Lehrer bemerkte. Er hatte etwas dagegen, daß ich grinste. »Schreibst du über ein heiteres Jubiläum?« fragte er.
    »Nein«, sagte ich und schrieb weiter:
    »Es gibt also kein Jubiläum ohne Ereignis und keines ohne Erinnerung. Ich schreibe von einem besonderen Jubiläum, einem jungen Jubiläum, wir werden es demnächst feiern. Es betrifft unser Haus.
    Wir werden es richtig feiern. Denn es ist ein merkwürdiger Tag, wenn eine Familie in das eigene Haus zieht, und es ist ein befreiender und glücklicher Tag. Bald jährt sich dieser Tag zum erstenmal. Ein Jahr lang hatten wir keinen Ärger mehr mit einem launenhaften Hausherrn, müssen wir keine Miete mehr zahlen. Ein Jahr wohnen wir in unserem Haus auf der Brücke.«
    Und dann schrieb ich, wie interessant das Leben in unserem Haus war, was da alles durchs Wohnzimmer zog, und weil mir die Schafe und Kühe nicht reichten, ließ ich auch Pferde durchgaloppieren und einen ganzen Zirkus mit Elefanten durchziehen. Es kam ja nicht so genau drauf an. Ich erzählte auch die Geschichte der neuen Brücke, und daß wir, seitdem diese fertig ist, wie abgeschnitten sind.
    »Darum«, schloß ich meinen Aufsatz, »wird meine Mutter bei unserem Jubiläum etwas traurig sein. Denn es war so nett, wenn der Bierfahrer in unserem Wohnzimmer den Motor abstellte, sich auf das Trittbrett seines Wagens setzte und Brotzeit machte, oder wenn der Unimogfahrer mit dem Schneepflug sich mit einem heißen Tee mit Rum bei uns aufwärmte. Oder wenn der Tierarzt zu einem kurzen Plausch hielt, das Wagenfenster herunterkurbelte und uns fragte: >Kennen Sie schon den Witz von den zwei Papageien? Nein, nicht? Dann muß ich ihn Ihnen erzählen.< — Oder der Tag, an dem der Bauer die Jauche fuhr und zehnmal mit dem Jauchefaß unser Wohnzimmer durchquerte. Aber auch eine Reihe Fußgänger kamen durch unser Haus, und wenn wir gerade beim Essen waren, dann setzten sie sich mit an unseren Tisch, langten ordentlich zu und erzählten eine Geschichte über Wühlmäuse, Greifvögel, Füchse, Bisamratten oder sonst etwas.
    So wird unser einjähriges Jubiläum überschattet sein. Denn nie mehr werden wir ein Kalb in der Küche finden, nie mehr wird eine Kuh eine grüne Schürze von meiner Großmutter wegfressen, und nie mehr wird ein Lamm unter dem
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