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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben
Autoren: Anna Degen
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Angabe doch gekannt?«, fragte Benno dazwischen.
    Joschi ignorierte ihn. Er wandte sich nur an Werner: »Ich habe meine Tante nicht gekannt. Ich habe erst nach dem Tod meiner Mutter von ihr erfahren. Sie hat nie von ihren Bamberger Verwandten gesprochen. Sie hatte völlig mit ihnen gebrochen.«
    »Auch Frau Kurt, Ihre Ersatzgroßmutter, hat nie von Ihrer Familie erzählt?«
    »Kürtchen? Nein, nie. Vielleicht hatte Karla, also meine Mutter, es ihr verboten.«
    Werner hakte nach: »Ihre Mutter ist dieses Jahr gestorben?«
    »Ja, Ende Mai.« Joschi starrte zum Fenster hinaus.
    »War denn niemand von Ihrer Verwandtschaft auf der Beerdigung?«
    »Da gibt es keine weitere Verwandtschaft. Es waren überhaupt nur sehr wenig Leute da, ein paar ehemalige Kolleginnen, ein paar meiner Freunde und seltsamerweise mein Vermieter. Der hat sie wohl von früher gekannt.«
    »Und Frau Kurt war nicht auf der Beerdigung?«
    »Ach verdammt! Kürtchen! Natürlich, ich hätte ihr schreiben müssen. Daran hab ich nicht gedacht. Ich habe sie … Seit ich ins Internat gekommen bin, habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich habe sie völlig aus den Augen verloren. Sie lebt also noch?«
    Benno machte sich eine Notiz: »Woher wusste Frau Kurt von Karlas Tod? Nicht von Joschi!«
    »Ja, Frau Kurt lebt noch«, sagte Werner. »Wie haben Sie denn entdeckt, dass Sie eine Tante haben?«
    »Als ich den Schreibtisch meiner Mutter ausgeräumt habe. Da waren ein Familienstammbaum der Rothammers und ein Adressbuch und solche Sachen.«
    »Sie haben also erst jetzt von Ihrer Bamberger Familie erfahren?«
    »O ja, die Rothammers. Eine stolze Sippe, die Rothammers. Mit Familienwappen, Familienstammsitz und allem. Und ich bin ihr Erbe«, sagte Joschi bitter. Er verbarg den Kopf in den Händen. »Und was für ein Erbe. Ein verdichteter Erbe sozusagen!«
    Benno nahm Werners fragenden Blick nicht wahr. Er fragte hart: »Und wegen des Erbes haben Sie Ihre Tante umgebracht?«
    Joschi fuhr auf. »Ich habe sie nicht umgebracht!«
    »Und woher kannten Sie dann als Einziger den Zeitpunkt ihres Todes?«
    »Den kenne ich doch gar nicht! Als ich hinkam, war sie schon tot. Das müssen Sie mir glauben!«
    »Sie geben also zu, dass Sie im Haus Ihrer Tante waren?«
    »Ja. Ja, ich habe sie besucht. Zwei Mal.«
    »Wieso?«
    »Nun, sie war doch nach dem Tod meiner Mutter meine einzige Verwandte. Ich wollte sie kennenlernen.« Obwohl die Fragen von Benno kamen, sah Joschi ihn immer noch nicht an.
    Benno ließ nicht locker: »Und beim zweiten Besuch haben Sie sie dann getötet.«
    »Nein, habe ich nicht!«
    »Jetzt lass Herrn Schneider doch erst mal die Möglichkeit zu erzählen, wie das aus seiner Sicht ablief«, sagte Werner begütigend. »Also, Herr Schneider, Sie haben nach dem Tod Ihrer Mutter beschlossen, Kontakt zu Ihrer Tante aufzunehmen?«
    »Ja, ich habe ihr geschrieben und sie dann in Bamberg besucht.«
    »Und wie hat sie reagiert?«
    »Sehr erfreut natürlich. Sie war ja ganz allein. Wir haben uns gut unterhalten.«
    »Wann fand denn dieser erste Besuch statt?«
    »Das weiß ich nicht mehr so genau. Etwa zwei, drei Wochen vor dem zweiten.«
    »Und was passierte bei diesem zweiten Besuch?« Werner schob das Mikrofon des Aufnahmegeräts näher zu Joschi hin.
    »Es war so schrecklich! Ich kam in die Küche, und da saß sie, mit offenem Mund, als wollte sie schreien. Ich bin hingegangen zu ihr und habe ihr den Schal abgenommen. Sinnlos. Sie war längst tot. Sie war schon kalt. Ihr Hals sah furchtbar aus.«
    »Sie haben sie angefasst?«
    »Ich konnte es erst gar nicht glauben. Sie war doch … Ich wollte …« Joschi schüttelte sich.
    »Ist Ihnen in der Küche oder im Haus irgendetwas besonders aufgefallen?«, fragte Werner.
    »Nein, nichts. Ich war so schockiert.« Joschi zögerte. »Oder doch – etwas war komisch. Vor ihr, auf dem Küchentisch, lag ein frischer Blumenstrauß. Die Blumen waren noch kaum verwelkt.«
    »Wie sind Sie denn überhaupt ins Haus gekommen, wenn Ihre Tante Sie nicht hereingelassen hat?«, fragte Benno.
    »Ich … ach, Tante Elfi hatte mir einen Schlüssel gegeben.«
    »Na, da müssen Sie sich aber wirklich gut mit ihr unterhalten haben«, sagte Benno sarkastisch, »wenn Frau Rothammer, die von allen als extrem misstrauisch beschrieben wird, Ihnen gleich bei der ersten Begegnung einen Schlüssel gegeben hat.«
    »Ich kann’s halt gut mit Frauen.« Das erste Mal warf Joschi einen Blick auf Benno, spöttisch-abschätzend. Für Augenblicke fiel er in seine
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