Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
grollend und stand auf. Er räumte mit ein paar Handbewegungen das gebrauchte Geschirr auf ein Tablett, drückte es mir in die Hände und nickte mir zu. »In zehn Minuten am Auto.«
    Ich räumte das Geschirr in die Spülmaschine und stellte sie an. Dann lehnte ich mich an den Herd und sah aus dem Fenster. Der Anblick des alten Herrenhauses faszinierte mich. Es war irgendwie unheimlich. Egal, wie hell die Sonne schien, die Mauern sahen immer gleich finster und düster aus, als wäre dort ewig Nacht. Und manchmal schimmerten nachts die Schindeln auf dem Dach wie vom Mond beleuchtet, auch bei Neumond oder wenn Wolken den Himmel verdeckten.
    War dort eine Bewegung hinter dem Fenster im oberen Stock? Dort schienen Gardinen zu hängen oder es stand jemand in weißen Kleidern hinter der Scheibe. Ich beugte mich weiter vor und kniff die Augen zusammen. Ich hatte bisher nur ein- oder zweimal beobachten können, dass abends Licht durch eins der Fenster schien.
    Falls dort überhaupt jemand wohnte. Keine Autos. Keine Fahrräder. Niemand auf dem Grundstück. Wahrscheinlich war das Haus verlassen und ich hatte mich mit den Lichtern nur getäuscht.
    Als ich das gerade dachte, öffnete sich die Hintertür und eine schmale Gestalt in hellen Kleidern trat heraus. Sie blieb einen Moment lang dort stehen, hob das Gesicht ins Sonnenlicht, und i hr Haar schimmerte, als würde es von innen leuchten. Das war das Mädchen von gestern!
    Ich drückte mein Gesicht gegen das Küchenfenster. Sie trug einen braven knielangen Rock und eine gemusterte Bluse, weiße Söckchen und flache Schuhe. Ein erstaunlicher Anblick. Die Mädchen, die ich kannte, liefen in zerrissenen Jeans oder extra kurzen Miniröcken herum und hätten sich eher erschießen lassen, als Rock, Bluse und Söckchen zu tragen.
    Jetzt drehte sie den Kopf und sah in meine Richtung. Sie war zu weit weg, um mich hier hinter dem Fenster erkennen zu können, aber ich fühlte ihren Blick auf mich gerichtet wie einen Laser.
    »Adrian! Kommst du?«
    Jonathans ungeduldiger Ruf ließ mich zusammenzucken. »Ich bin unterwegs!«, schrie ich, und als ich mich noch einmal zum Fenster drehte, war das Mädchen fort und die Tür wieder geschlossen.
    Wir tuckerten wortlos die holprige Straße ins Dorf hinunter. Die paar Meter hätten wir genauso gut zu Fuß gehen können. Als ich das versehentlich laut aussprach, erntete ich einen empörten Blick. »Sehe ich aus wie ein Marathonläufer?«, fragte Jonathan.
    Das war natürlich eine rhetorische Frage, deren Beantwortung sich erübrigte. Jonathan ist einer der faulsten Menschen, die man sich denken kann, zumindest, was Bewegung unter freiem Himmel angeht.
    »Täte dir aber gut«, murmelte ich, doch Jonathan zog es vor, meine Bemerkung zu überhören.
    E r parkte den Wagen auf der Dorfstraße, direkt vor Lizzies Laden, und holte den Einkaufskorb aus dem Kofferraum.
    Lizzie stand selbst hinter der Theke und nickte uns lächelnd zu. Sie bediente gerade eine ältere Frau, die unentschieden zwischen den Gläsern mit ihrer bunten Bonbonfüllung hin- und herblickte. »Dann nehme ich noch von den gefüllten Grünen und von den weichen Karamellbonbons«, hörte ich sie sagen, ehe ich Jonathan in den hinteren Teil des Ladens folgte, in dem das ganze Selbstbedienungszeug lagerte.
    Jonathan setzte die Brille auf die Nase und las mit gerunzelter Stirn seinen Einkaufszettel durch. Ich schlenderte zwischen den Regalen herum und nahm hier und da etwas in die Hand. Es war erstaunlich, was Lizzie alles in ihrem Laden beherbergte – es gab sogar eine Ecke mit Computerzubehör.
    Ich drehte den Taschenbuchständer um seine Achse und sah nach, ob einer von Tobys Krimis zwischen den anderen Büchern klemmte. Natürlich war es so. »Erica Mooreland – Stille Wasser sind trüb – Ein Cumberbatch-und-Walker-Krimi.«
    Das war der vorletzte C&W-Krimi. Toby hatte seine beiden Ermittler – Corinna Cumberbatch und Gordon Walker – inzwischen ziemlich leid. Drei Bücher lang hatten sie sich gezofft und waren trotzdem total aufeinander scharf gewesen, im vierten Band durften sie sich endlich kriegen, um sich im fünften Band wieder schrecklich zu zerstreiten. Inzwischen war Band neun in Arbeit, und Toby dachte ernsthaft darüber nach, einen von beiden sterben zu lassen. Der entsetzte Aufschrei seiner Leserinnen war ihm dafür gewiss.
    »Gordon Walker«, sagte ich vor mich hin. Der Name war ein Witz, über den Jonathan lange und laut gelacht hatte. Mein Va t er gibt seinen Figuren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher