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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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jedes Hintergrundgeräusch abzuspulen. Es blieb still, während ich hinausschaute in die langsam hereinbrechende Dunkelheit und mir vorzustellen versuchte, mit welcher Unerbittlichkeit die Nacht damals über dem Kampfgebiet gekommen sein dürfte, und danach brach wieder Slavkos Lachen los.
    »Die serbische Grenze?«
    Er war voller Sarkasmus und wartete gar nicht darauf, daß Allmayer etwas erwiderte, fuhr in einem Ton fort, der ein für alle Mal klarstellen sollte, daß mit ihm nicht zu spaßen war.
    »Ich fürchte, ich weiß nicht, was Sie meinen, aber ich habe jemanden, der Ihnen vielleicht weiterhelfen kann«, begann er gleich wieder, und es klang, als würde er irgendwo aufgeschnappte Dialogteile zitieren. »Folgen Sie mir, ich werde Sie dem Herrn vorstellen.«
    Es waren Schritte zu hören, und dann wieder seine Stimme.
    »Da ist er«, sagte er. »Er kommt von drüben.«
    Es folgten ein paar kroatische Brocken, die er hervorstieß, und Helena warf ein, es handelte sich offenbar um einen Gefangenen, den er anherrschte, zu singen.
    Ich wollte fragen, was sie damit meinte, aber da war schon eine krächzende Stimme zu hören, leise und viel zu schwach vor dem riesigen Raum, der sich hinter ihr aufzutun schien.
    »Spremte se, spremte, četnici.«
    Der Mann hatte Angst, und als Slavko ihn anfuhr, wiederholte er es, lauter diesmal, und Paul brauchte Helena gar nicht aufzufordern, sie übersetzte es von sich aus, sprach auffallend schnell und bewegte dabei kaum ihre Lippen.
    »Seid bereit, Tschetniks, seid bereit.«
    Ich sah, daß Paul das Band wieder anhalten wollte, aber da kam es noch einmal wie ein viel zu lautes Echo, vor dem er zurückzuckte, und wenn es mir davor noch nicht aufgefallen war, begriff ich mit einem Schlag, daß es den Charakter eines Gebetes hatte.
    »Spremte se.«
    Auch Slavkos Lachen schien auf einmal etwas Betretenes zu haben, aber wahrscheinlich täuschte ich mich, denn als er sich wieder an Allmayer wandte, war es durch und durch zynisch.
    »Er kann Ihnen Ihre Frage beantworten.«
    Damit sprach er von neuem den Mann an.
    »Koliko ima do Srbije?«
    Ich rechnete damit, daß Helena es übersetzen würde, aber sie schwieg, lauschte nur auf seine plötzlich einschmeichelnde Stimme und verzog dabei ihr Gesicht wie vor Ekel. Auf mich wirkte sie, als würde sie am liebsten sagen, sie habe noch lange nichts mit ihm zu tun, nur weil sie ihn als einzige verstand, und war deshalb so zurückhaltend. Trotzdem wurde ich den Eindruck nicht los, sie fühlte sich persönlich von ihm angesprochen, und tatsächlich schien er auch in seinem bloßen Warten auf einmal so präsent zu sein, daß die Antwort auf dem Band dann kaum zu hören war.
    »Dvadeset kilometara.«
    Er lachte nur.
    »Koliko?«
    Obwohl es fast nicht ging, kam es noch zögerlicher.
    »Dvadeset.«
    Ein kräftiges Klatschen war das nächste, und dann sprach er wie zu einem Kind, das sich störrisch gebärdete und nicht verstehen wollte, daß er es nur gut mit ihm meinte.
    »Koliko?«
    Wieder ließ er ein paar Augenblicke verstreichen.
    »Dvadeset kilometara, kažeš«, sagte er dann selbst, und er sprach die Konsonanten weich aus, als entstammten sie einem anderen Alphabet. »A šta onda radiš ovdje?«
    Unter der Oberfläche klang das so kalt, daß ich mir wünschte, er würde endlich in Beschimpfungen und Flüche ausbrechen und sich damit berechenbar verhalten, aber er schien mit jedem Wort nur noch ruhiger zu werden und das auch zu registrieren, als er fortfuhr.
    »Zašto nisi u Srbiji?«
    Das war der Augenblick, in dem endlich der Dolmetscher wieder einsetzte, zuerst tastend, als erwartete er unterbrochen zu werden, und dann fast schon geschäftsmäßig.
    »Er fragt ihn, was er hier macht«, sagte er. »Außerdem will er wissen, warum er nicht in Serbien ist, wenn es nur ein paar Kilometer entfernt sein soll.«
    Kaum hatte er ausgesprochen, war die Stimme des Mannes auf einmal wieder ganz dünn zu hören, ein Flüstern, das wie ein erstickter Hilferuf klang.
    »Srbije nema.«
    Offenbar glaubte er, damit die Lösung gefunden zu haben, und dem Gelächter nach zu urteilen schien es Slavko auch zu gefallen, während der Dolmetscher in einer Mischung aus Zustimmung und Bestürztsein die Übersetzung lieferte.
    »Serbien gibt es nicht.«
    Damit hätte es zu Ende sein können, aber natürlich war es das nicht, obwohl Paul einmal mehr das Band stoppte, und immer wenn ich daran denke, wie er das tat, bin ich mir sicher, ihm muß die Ungeheuerlichkeit des
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