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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
Autoren: Donald Ray Pollock
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sah über ihre Schulter hinweg, wie sein Onkel in die Küche huschte. Ihre Haare waren grau geworden, seit Willard sie das letzte Mal gesehen hatte. »Ich würde dich ja bitten, mit mir niederzuknien und dem Herrn zu danken«, sagte Emma und wischte sich die Tränen mit dem Saum ihrer Schürze vom Gesicht, »aber ich kann Alkohol in deinem Atem riechen.«
    Willard nickte. Er war in dem Glauben erzogen worden, dass man niemals betrunken zu Gott sprach. Man hatte immer aufrecht zum Herrn zu sein, falls er mal wirklich helfen musste. Selbst Willards Vater, Tom Russell, ein Schwarzbrenner, der bis zu dem Tag, an dem er in einem Gefängnis in Parkersburg an Leberzirrhose starb, von Pech und Ärger verfolgt worden war, hatte sich daran gehalten. Ganz gleich, wie verzweifelt die Lage auch war – und sein alter Herr hatte häufig in aussichtslosen Situationen gesteckt–, er hatte den Allerhöchsten niemals um Hilfe gebeten, solange er auch nur einen Tropfen Alkohol in sich gehabt hatte.
    »Na, komm in die Küche«, sagte Emma. »Du kannst essen, und ich setze Kaffee auf. Ich hab dir einen Hackbraten gemacht.«
    Gegen drei Uhr früh hatten Earskell und er vier Flaschen geleert, dazu eine Tasse Schwarzbrand, und arbeiteten sich durch die letzte der mitgebrachten Flaschen. Willard war ganz benommen, und es fiel ihm schwer, die Worte richtig auszusprechen, doch offenbar hatte er seiner Mutter gegenüber die Kellnerin erwähnt, die er im Diner gesehen hatte. »Wie bitte?« fragte er.
    »Das Mädchen, von dem du gesprochen hast«, sagte sie. »Was findest du denn an ihr?« Sie goss ihm einen weiteren siedend heißen Kaffee aus einem Stieltopf ein. Willards Zunge war zwar schon ganz taub, aber er war sicher, er hatte sie sich bereits ein paar Mal am Kaffee verbrannt. Eine Kerosinlampe, die von einem Deckenbalken baumelte, erhellte den Raum. Der breite Schatten seiner Mutter schwankte an der Wand. Er kleckerte Kaffee auf das Öltuch auf dem Tisch. Emma schüttelte den Kopf und griff hinter sich nach einem Spüllappen.
    »Alles«, antwortete er. »Du solltest sie mal sehen.«
    Emma ging davon aus, dass nur der Whiskey aus ihm sprach, trotzdem war ihr bei der Ankündigung ihres Sohnes, eine Frau kennengelernt zu haben, unwohl. Mildred Carver, eine gottes-fürchtigere Christin gab es in ganz Coal Creek nicht, hatte jeden Tag für ihren Sohn gebetet, und doch hatten sie ihn in einem Sarg heimgeschickt. Kaum hatte Emma gehört, dass die Sargträger sich fragten, ob überhaupt jemand in dem Sarg war, wartete sie auf ein Zeichen, was sie zu tun hatte, um Willards Sicherheit zu garantieren. Sie suchte noch immer nach diesem Zeichen, als Helen Hattons Familie bei einem Hausbrand ums Leben kam, der das arme Kind zur Vollwaise machte. Zwei Tage später sank Emma nach langem Nachdenken auf die Knie und versprach Gott, falls er ihren Sohn lebend nach Hause brächte, würde sie alles dafür tun, dass er Helen heiratete und für sie sorgte. Doch wie sie da in der Küche stand und sein dunkles, welliges Haar und seine kantigen Gesichtszüge betrachtete, ging ihr auf, dass sie doch verrückt gewesen sein musste, ein solches Versprechen abzugeben. Helen trug eine schmutzige Haube auf dem Kopf, die sie unter dem starken Kinn zusammengebunden hatte, und ihr langes Pferdegesicht ähnelte dem ihrer Großmutter Rachel wie ein Ei dem anderen; viele hatten die Großmutter für die reizloseste Frau gehalten, die es je in Greenbrier County gegeben hatte. Damals hatte Emma nicht daran gedacht, was wohl passieren würde, wenn sie ihr Versprechen nicht halten konnte. Wenn sie doch nur mit einem hässlichen Sohn gesegnet worden wäre, dachte sie. Gott hatte schon komische Ideen, wenn es darum ging, den Menschen klarzumachen, dass er unzufrieden mit ihnen war.
    »Gutes Aussehen ist nicht alles«, sagte Emma.
    »Sagt wer?«
    »Halt den Mund, Earskell«, fauchte Emma. »Und wie heißt das Mädchen?«
    Willard zuckte mit den Schultern. Er betrachtete das Bild von Jesus über der Tür, auf dem er das Kreuz trug. Seit er in die Küche gekommen war, hatte er vermieden, es anzuschauen, um sich nicht die Heimkehr durch Gedanken an Miller zu verderben. Doch nun widmete er sich, wenn auch nur für einen Augenblick, dieser Darstellung. Das Bild in dem billigen Holzrahmen hing schon so lange da, wie er nur denken konnte, und war ganz altersfleckig. Im flackernden Licht der Lampe wirkte es beinahe lebendig. Willard konnte fast die Peitschen knallen und die Soldaten des
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